Liesen, Wolfgang - Haltungsversuch - Konzept für einen gefällten Baum
Skulptur,
1996
Bildrechte: Sabine Fiereck
Bildrechte: Sabine Fiereck
Zum Objekt
In den zehn Jahren seit ihrer Entstehung ist die Baumskulptur des Essener Bildhauers Wolfgang Liesen „Haltungsversuch - Konzept für einen gefällten Baum“ ausgesprochen stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Der ursprünglich glatte Schnitt, der den gut einen Meter hohen Baumstumpf vom etwa fünf Meter langen, kolossalen Baumstamm abtrennte, ist heute vermoderte Oberfläche. Anstelle von Rinde finden sich an vielen Stellen Pilzschwämme und abgesplittertes Holz. Zudem fehlt eine der beiden für den „Haltungsversuch“ essentiellen, großen Stahlklammern. Die noch Vorhandene ist teilweise herausgerissen.
Spätestens in diesem Zustand wird offensichtlich, dass Liesens vermeintliches Konzept zur vertikalen Zusammenführung der beiden Baumteile nicht aufgeht. Denn die Klammervorrichtung wurde von Liesen so angelegt, dass sie zwar eine Verbindung zum schräg aufliegenden Baumstamm bildet, dem gefällten Baum darüber hinaus jedoch keine weitere Stabilität geben kann. Auch wird, indem der Künstler die Baumkrone im Erdboden versinken lässt, überdeutlich, dass gar nicht ernsthaft versucht wird, dem Baum eine aufrechte Haltung zu verleihen. Vielmehr wird dem Betrachter das unausweichliche Scheitern eines solchen Versuchs der Wiederherstellung des früheren Zustandes vor Augen geführt. Das Fällen des Baumes ist ein irreparabler Akt, der durch den fortschreitenden Verwitterungsprozess nur noch offenkundiger zu Tage tritt.
Inzwischen hat sich diese Skulptur noch weiter verändert: Mittlerweile fehlt auch die letzte verbleibende Klammer und der zuvor auf dem Baumstumpf aufliegende Stamm liegt nun gänzlich auf dem Boden. Spuren des ehemaligen „Haltungsversuchs“ sind somit kaum noch auszumachen.
Zum Künstler
Nach einer Steinmetzlehre studierte der gebbürtige Gelsenkirchener Wolfgang Liesen an der Folkwangschule Essen und an der Kunstakademie Düsseldorf, u.a. bei Joseph Beuys. Er selbst war an der Gesamthochschule, Universität Essen als Lehrbeauftragter tätig.
Wichtige Themen im Werk des in Essen-Kettwig lebenden und arbeitenden Künstlers sind Aggression und Verwundung, Veränderung und Umformung von Dingen. So entstanden sogenannte „Umformer“, massiv in etwas eingreifende bzw. zerstörende Objekte, die Liesen bevorzugt aus Stahl, Blei oder Gummi fertigt.
Hintergrund
Wolfgang Liesen schuf die dritte Baumskulptur für das 1993 vom Kunstverein Gelsenkirchen ins Leben gerufene und sich seither sukzessive weiterentwickelnde Projekt „Kunst am Baum“. Wie bei der sogenannten „Kunst am Bau“ wird hier der museale Rahmen verlassen und der öffentliche Raum gesucht, um zufällige Begegnungen mit Kunst zu ermöglichen.
Als Standort für das Skulpturenprojekt wurde der Bereich des Schlossparks Berge, westlich der Adenauerallee und nördlich des Sees von Schloss Berge zur Verfügung gestellt. Dort vorhandene kranke, überalterte und verkehrsgefährdende Bäume, die ohnehin gefällt werden sollten, wurden zur künstlerischen Bearbeitung frei gegeben. So konnten unmittelbar vor Ort in der Auseinandersetzung mit dem lebenden, noch verwurzelten „Material“ und der Umgebung interessante Konzepte entstehen, die sich auf vielfältige Weise mit der Verbindung von Kunst, Mensch und Natur auseinandersetzen. Insbesondere die Vergänglichkeit des Materials und der Pflanzenwachstum im direkten Umfeld wirken in die Gestaltung mit ein. Die Baumskulpturen verändern sich fortwährend, werden Teil der Umgebung sowie natürlicher Verwitterungsprozesse und verweisen auf diesem Wege auf Werden und Vergehen der Dinge. Vorgesehen ist, dass alljährlich eine neue Skulptur hinzukommt: Anstelle einer mühevollen und letztlich nicht realisierbaren Konservierung sind für die „Kunst am Baum“ immer neue Ideen gefragt.