Schloen, Uwe - Regal
Skulptur,
1999
Bildrechte: Sabine Fiereck
Bildrechte: Sabine Fiereck
Zum Objekt
Der Zahn der Zeit nagte bereits auch schon an diesem 1999 entstandenen Objekt von Uwe Schloen. Das aus einem Baumstamm herausgearbeitete „Regal“ ist aus der Wurzelbasis herausgebrochen und offenbart dem Betrachter seine morsch gewordene Standfläche. Aber auch „ineffizient“ am Boden liegend entfaltet die Skulptur einen besonderen Reiz und verweist auf die Faktoren Zeit und Vergänglichkeit, die einen integralen Bestandteil des „Kunst am Baum“-Projektes bilden.
Die eckig-massiv gestaltete, archaisch anmutende Form wurde durch den Künstler mit der Motorsäge aus dem Baumblock geholt. Schloen schnitt drei Quadrate im oberen und ein lang gezogenes Rechteck im unteren Bereich heraus, so dass eine Art Gerüst mit langen Beinen entstand. In die oberen, durchbrochenen Flächen, quasi in unerreichbarer Höhe, stellte er insgesamt 26 Bleibücher hinein, die Titel der Weltliteratur aus zwei Jahrhunderten tragen - von Viktor Klemperer über Dostojewski und Kafka bis hin zu Mark Twain und Stevensons Schatzinsel.
Heute lassen sich davon nur noch die zerfledderten Bleiseiten vage als Buchverweis erkennen. Interessanterweise verwendete Schloen für diesen Anteil seiner Arbeit ein im Gegensatz zum Holz überaus dauerhaftes Material. Handelt es sich also um ein Symbol für den besonderen Wert und die qualitätsbedingt lange Nachwirkung oder eher doch um einen weitaus weniger schmeichelhaften Verweis auf Wissen und ´schwere` Literatur, die sprichwörtlich wie Blei im Regal liegt?
Generell greift Schloen in seiner künstlerischen Arbeit immer wieder auf Blei als Material zurück. Aufgrund seiner leichten Verformbarkeit bereits seit der Bronzezeit geläufig, ist Blei einerseits giftig, andererseits auch (gegen Radioaktivität) schützend. In seiner Bedeutung ist Blei also nicht nur variabel, sondern äußerst ambivalent.
Das „Regal“ inmitten eines baumbestandenen Teils des Berger Schlossparks verbindet die Themen Natur und Kultur zu einem signifikant gestalteten Ensemble.
Zum Künstler
Uwe Schloen besuchte die Fachoberschule für Gestaltung in Bremen, bevor er dann in Hamburg Malerei und Bildhauerei studierte. Im Verlauf seines bisherigen künstlerischen Werdegangs erwies sich Schloen als außerordentlich vielfältig und originell arbeitender Künstler. So widmet er sich neben der Malerei und Skulptur, dem Holzschnitt und größeren Installationen, wobei er sich unterschiedlichsten Materialien bedient. Zu den größeren von ihm realisierten Projekten gehören das „Bunkerdorf“ (Giardino di Daniel Spoerri, Seggiano/ Italien, 2000) und „Das legendäre Silikonzimmer“ (Kunsthalle Dominikanerkirche, Osnabrück 2004).
Die Kunsthistorikerin Ines Kohl beschreibt Schloens Arbeitsweise wie folgt: „Seiner künstlerischen Phantasie ist jedes Mittel recht. Holz, Wachs, Stroh, Steine, Federn, Pech, Kunststoffe und Metalle sind die Materialien, mit denen er seine Vorstellungen transportiert, die abstoßend und anziehend zugleich Gestalt finden. Auf alle Fälle lassen sie keinen unberührt, sie machen betroffen, auf welche Weise auch immer, denn sie erzählen eindringlich vom Verlust grundlegender Bedingungen der menschlichen Existenz, vom Verlust der Kulturen.“
Hintergrund
Uwe Schloen schuf die siebte Baumskulptur für das 1993 vom Kunstverein Gelsenkirchen ins Leben gerufene und sich seither sukzessive weiterentwickelnde Projekt „Kunst am Baum“. Wie bei der sogenannten „Kunst am Bau“ wird hier der museale Rahmen verlassen und der öffentliche Raum gesucht, um zufällige Begegnungen mit Kunst zu ermöglichen.
Als Standort für das Skulpturenprojekt wurde der Bereich des Schlossparks Berge, westlich der Adenauerallee und nördlich des Sees von Schloss Berge zur Verfügung gestellt. Dort vorhandene kranke, überalterte und verkehrsgefährdende Bäume, die ohnehin gefällt werden sollten, wurden zur künstlerischen Bearbeitung frei gegeben. So konnten unmittelbar vor Ort in der Auseinandersetzung mit dem lebenden, noch verwurzelten „Material“ und der Umgebung interessante Konzepte entstehen, die sich auf vielfältige Weise mit der Verbindung von Kunst, Mensch und Natur auseinandersetzen. Insbesondere die Vergänglichkeit des Materials und der Pflanzenwachstum im direkten Umfeld wirken in die Gestaltung mit ein. Die Baumskulpturen verändern sich fortwährend, werden Teil der Umgebung sowie natürlicher Verwitterungsprozesse und verweisen auf diesem Wege auf Werden und Vergehen der Dinge. Vorgesehen ist, dass alljährlich eine neue Skulptur hinzukommt: Anstelle einer mühevollen und letztlich nicht realisierbaren Konservierung sind für die „Kunst am Baum“ immer neue Ideen gefragt.