Pietryga, Stefan - Pappel-Westwind
Skulptur,
1993
Bildrechte: Sabine Fiereck
Bildrechte: Sabine Fiereck
Zum Objekt
Bei der 1993 entstandenen, ultramarinblauen „Pappel-Westwind“ des Bildhauers Stefan Pietryga handelt es sich um das erste Baumobjekt des vom Kunstverein Gelsenkirchen initiierten Projektes „Kunst am Baum“. Gearbeitet aus dem Stammholz einer Pappel und ursprünglich monolithisch mit dem Wurzelwerk verbunden, liegt die Skulptur nunmehr abgebrochen am Boden und der Blick in das morsche Innere verrät den weit fortgeschrittenen Verfallsprozess. Zudem ist das blaue Pigment an vielen Stellen zwischenzeitlich verblichen und die Signalwirkung, durch die sich die Baumskulptur markant von der natürlichen Wald- und Parklandschaft hervorhob, stark relativiert. So erfordert es mittlerweile ein wenig Mühe, die Skulptur aufzufinden.
Für die Arbeit „Pappel-Westwind“ - wie auch für viele weitere Baumobjekte, die in dieser Projektreihe zwischenzeitlich entstanden sind - spielt die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Natur und Kunst eine bedeutende Rolle. Einerseits sind Umgebung und Material der Natur verbunden und auch die von Pietryga aus dem Stammrohling gearbeitete Form einer (wenn auch abstrahierten) Pappel kann diesem Bereich zugeordnet werden. Auf der anderen Seite wird die Skulptur Pietrygas durch den Einsatz der Farbe Blau mit aller Deutlichkeit aus dem natürlichen Kontext herausgestellt und als Kunstobjekt gekennzeichnet. Assoziativ lassen sich Farbigkeit und stark ausdifferenzierte Oberflächenstruktur mit den von Yves Klein gestalteten blauen Reliefs im Gelsenkirchener Musiktheater verbinden. Hier wie dort ist die Farbe ´Hauptwirkungsfaktor` und wird durch die reliefierte Oberfläche in viele verschiedene Schattierungen und Farbtöne aufgebrochen. Pietryga hat diesbezüglich mit Beil und Beitel im schlanken Umriss stark expressive Strukturen herausgearbeitet, die der Skulptur Lebendigkeit und Bewegtheit verleihen.
Aufgrund der durch natürliche Verwitterungsprozesse wird das als Kunstobjekt gleichzeitig zur Analogie von Baumleben und -sterben.
Zum Künstler
Stefan Pietryga studierte als Meisterschüler bei Professor Ernst Hermanns an der Kunstakademie Düsseldorf, Abteilung Münster. Daran anschließend absolvierte er ein Philosophiestudium an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Der inzwischen in Essen und Potsdamm lebende Künstler widmet sich neben der Bildhauerei auch der Malerei und der Gestaltung von Kirchenräumen. Eine Besonderheit ist seine Arbeit in Serien. „War es bis etwa 1984 die Figur des Stieres, die in unterschiedlichen Kombinationen und Variationen auftauchte, ist es seit ungefähr 1988 die vegetatible Form der Pappel: Metapher, die unterschiedliche psychische Zustände ebenso zum Ausdruck bringen kann wie die Form architektonischer Stabilität und für Untersuchungen zu Raum- und Platzgestaltungen ebenso geeignet ist, wie als autonome, solitäre Figur.“ (Internetseite der Galerie Heimeshoff)
Unter anderem finden sich seine Pappelobjekte in Heidelberg, Wolfsburg, Recklinghausen und Essen. Für Gelsenkirchen schuf er neben der „Pappel-Westwind“ eine über zwei Meter hohe Version aus Bronze (1996/97) für das Gartenschaugelände Zeche Nordstern und für den Außenbereich der St. Hippolytuskirche im Stadtteil Horst eine mit blauen Pigmenten behandelte hölzerne Pappel (1990).
Hintergrund
Stefan Pietryga schuf die erste Baumskulptur für das 1993 vom Kunstverein Gelsenkirchen ins Leben gerufene und sich seither sukzessive weiterentwickelnde Projekt „Kunst am Baum“. Wie bei der sogenannten „Kunst am Bau“ wird hier der museale Rahmen verlassen und der öffentliche Raum gesucht, um zufällige Begegnungen mit Kunst zu ermöglichen.
Als Standort für das Skulpturenprojekt wurde der Bereich des Schlossparks Berge, westlich der Adenauerallee und nördlich des Sees von Schloss Berge zur Verfügung gestellt. Dort vorhandene kranke, überalterte und verkehrsgefährdende Bäume, die ohnehin gefällt werden sollten, wurden zur künstlerischen Bearbeitung frei gegeben. So konnten unmittelbar vor Ort in der Auseinandersetzung mit dem lebenden, noch verwurzelten „Material“ und der Umgebung interessante Konzepte entstehen, die sich auf vielfältige Weise mit der Verbindung von Kunst, Mensch und Natur auseinandersetzen. Insbesondere die Vergänglichkeit des Materials und der Pflanzenwachstum im direkten Umfeld wirken in die Gestaltung mit ein. Die Baumskulpturen verändern sich fortwährend, werden Teil der Umgebung sowie natürlicher Verwitterungsprozesse und verweisen auf diesem Wege auf Werden und Vergehen der Dinge. Vorgesehen ist, dass alljährlich eine neue Skulptur hinzukommt: Anstelle einer mühevollen und letztlich nicht realisierbaren Konservierung sind für die „Kunst am Baum“ immer neue Ideen gefragt.