Tinguely, Jean - Mechanische Reliefs
Kinetische Skulptur,
1959
Bildrechte: Sabine Fiereck
Bildrechte: Sabine Fiereck
Tinguely, Jean - Mechanische Reliefs.
Bildrechte: Stadt Gelsenkirchen
Zum Objekt
An zwei einander gegenüberliegenden Wänden des Foyers im Kleinen Haus befinden sich diese beiden Mechanischen Reliefs Jean Tinguelys, die erste öffentliche Auftragsarbeit des Schweizer Künstlers. Jedes Relief für sich besteht aus etwa 30 einzelnen Platten unterschiedlicher Größe und Form, die jeweils an einem Punkt an der Wand befestigt und mit dem gleichen grauen Velours wie die Wände überzogen sind. Durch die fehlende Farbakzentuierung erscheint die Gestaltung ausgesprochen zurückhaltend. Licht und Schatten erzeugen dennoch deutliche Nuancierungen, die die einzelnen Teile vernehmlich aus der Wand hervortreten lassen. Ihre eigentliche Wirkung entfalten die Reliefs aber erst, wenn sie in Bewegung gesetzt werden. Die Antriebsvorrichtung selbst ist nicht ersichtlich. Durch Tinguelys Konstruktion, bestehend aus einem Motor und einem System aus unterschiedlich großen Zahnrädern, können sich die in einfachen abstrakten Formen gehaltenen Platten langsam um sich selbst drehen, ohne dass sie sich im gleichen Tempo bewegen. So entstehen verschiedene Bildkonstellationen, wobei die Komposition der abstrakten Formen von Unregelmäßigkeit und (kalkuliertem) Zufall bestimmt wird.
Bezeichnend für Tinguelys Arbeiten ist die über eine maschinelle Konstruktion erzeugte Visualisierung von Bewegung und Veränderung. Seine Ansichten diesbezüglich formulierte er in seinem Manifest „Für Statik“, welches er anlässlich seiner ersten Ausstellung in Deutschland, die 1959 in Düsseldorf - im Jahr der Eröffnung des Musiktheaters in Gelsenkirchen - stattfand, von einem Flugzeug abwerfen ließ. Mit den Worten „Es bewegt sich alles, Stillstand gibt es nicht“ verweist er auf die fortwährende Veränderlichkeit der Dinge; Werte und Wahrheiten miteingeschlossen. Die kontinuierliche Bewegung sah er entsprechend als Inbegriff für Freiheit und Lebendigkeit.
Zum Künstler
Jean Tinguely ist einer der Hauptvertreter der Kinetischen Kunst, einer Richtung, die sich v.a. seit den 1950er Jahren mit dem sich bewegenden Objekt auseinander setzte. Tinguely, der Anfang der 1940er Jahre eine Ausbildung zum Dekorateur absolvierte und parallel dazu Kurse der Allgemeinen Gewerbeschule in Basel belegte, begann seine Auseinandersetzung mit der Bewegung, indem er kinetische Schaufensterdekorationen erarbeitete. Seine eigentliche künstlerische Karriere setzte mit seinem Umzug nach Paris 1953 ein. Er erhielt schon bald seine ersten Einzelausstellungen und stand im engen Kontakt mit Künstlern wie Marcel Duchamp, Yves Klein, Spoerri, Robert Rauschenberg und Niki de Saint-Phalle, seine spätere Ehefrau.
Die von ihm konstruierten, vielfach aus vorgefundenen Gegenständen zusammengebauten Maschinerien machen auf vielgestaltige Weise Bewegung visuell und akustisch erfahrbar. Sie können Klänge und Gerüche erzeugen, abstrakt-expressionistische Zeichnungen fabrizieren oder sich selbst zerstören. Der Antriebsmechanismus ist meist sichtbarer Bestandteil des Objektes und konnte oftmals vom Betrachter selbst, beispielsweise über Münzeinwurf oder Pedalantrieb, aktiviert werden. Seine Arbeiten zeugen von Technikbegeisterung einerseits, ironisieren andererseits jedoch gleichzeitig die Industrie- und Kunstwelt.
Ein eigenes Museum in Basel widmet sich dem umfangreichen Gesamtwerk Jean Tinguelys.
Hintergrund
Jean Tinguely unterhielt Kontakte zu zahlreichen Künstlern seiner Zeit. Vielfach kam es auch zu Kooperationen. So machte Tinguely bereits 1955 die Bekanntschaft mit Yves Klein, der später wie er selbst an der Ausgestaltung des Musiktheaters Gelsenkirchen beteiligt sein sollte, das unter der Federführung des Architekten Prof. Werner Ruhnau entstand. Zu einer unmittelbaren Zusammenarbeit von Klein und Tinguely kam es 1958: beide Künstler konzipierten unter dem Titel „Vitesse pure et stabilité monochrome“ (Reine Schnelligkeit und monochrome Stabilität) u.a. sechs Wandobjekte, bestehend aus monochromen blauen Scheiben, die durch eine Motorkonstruktion Tinguelys angetrieben wurden.