Rosa Böhmer kommt am 22. September 1933 in Gelsenkirchen-Schalke zur Welt. Ihre Familie gehört zur Minderheit der Sinti und somit schon lange vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten zu den Ausgegrenzten der Gesellschaft. Sie lebt auf engstem Raum und in dürftigen Verhältnissen. Im „Dritten Reich“ verschärfen sich die Gesetze und Verordnungen gegen Sinti und Roma, die NS-Rassenideologie definiert sie als „Artfremde“. Rosa Böhmer hat wie auch ihr Vater und ihre Geschwister die deutsche Staatsangehörigkeit, die Mutter stammt aus Belgien; alle sind katholisch getauft.
Karl Böhmer, Rosas Vater ist Musiker, ihre Mutter Anna ist als Kleinhändlerin tätig. Als „Zigeuner“ stigmatisiert ist es der Familie nicht möglich, eine angemessene Wohnung zu bekommen. Für ihre Not werden sie selbst verantwortlich gemacht und im Nazi-Jargon als „arbeitsscheu“ und „asozial“ betrachtet. Wegen der unzureichenden Wohnverhältnisse und auch, weil die Familie staatliche Unterstützung erhält, führen das Fürsorge- und Gesundheitsamt regelmäßige Kontrollbesuche durch.
Rosa wird mit vier Jahren zwangsweise aus der Familie genommen und in ein Kinderheim eingewiesen. Auch ihre jüngeren Geschwister werden dorthin gebracht. Nach Einspruch der Eltern dürfen die Jüngsten jedoch wieder zurück. Heute ist bekannt, dass die Kinder in diesem Heim von den katholischen Schwestern strengen Erziehungsmethoden und grausamen Strafen ausgesetzt waren. Nach zwei Jahren hat Rosa Glück im Unglück, als sie von dem Ehepaar Johannes und Theresia Hunke in Hövelhof/Kreis Paderborn als Pflegekind aufgenommen wird. Die Pflegeeltern kümmern sich liebevoll um sie. Rosa geht dort zur Schule und kann auch mit ihrer Familie in Gelsenkirchen den Kontakt halten. Im Frühjahr 1943 finden die Vorbereitungen zur Firmung des Mädchens in der Dorfkirche statt.
Rosas Vater ist zu diesem Zeitpunkt bereits tot, die Urne wurde an die Familie geschickt. Die Nationalsozialisten hatten Karl Böhmer zunächst zum Arbeitsdienst zwangsverpflichtet, 1941 dann ins Konzentrationslager Niederhagen-Wewelsburg überwiesen. Dort kam er am 9. Dezember 1941 ums Leben, die Todesursache wurde als „Lungenentzündung“ verschleiert.
Als die Deportationen der Sinti und Roma in Gelsenkirchen behördlich organisiert werden, steht auch Rosas Name auf der Liste. Die Neunjährige wird am 5. März 1943 direkt von der Schule abgeholt und von einer Fürsorgerin nach Gelsenkirchen gebracht. Sie wird mit ihrer Mutter und acht Geschwistern im Deportationszug nach Auschwitz transportiert, wo sie am 13. März 1943 ankommen. Sie werden registriert und in das im Vernichtungslager befindliche „Zigeunerlager“ gebracht. Einige Monate später ist die Familie Böhmer ganz ausgelöscht.
Rosas Pflegeeltern versuchen viele Wochen lang immer wieder, sie nach Hövelhof zurückzuholen. Doch alle Nachfragen und Briefe bleiben ohne Erfolg. Die Kriminalpolizei rät dem beharrlichen Ehepaar gar, anstelle des „Zigeunerkindes“ doch besser ein „arisches Waisenkind“ in Pflege zu nehmen. Auch nach dem Krieg begeben sich die Pflegeeltern bald auf die Suche nach der kleinen Rosa. Der Name Auschwitz sagt ihnen damals noch nichts, erst später erfahren sie vom Tod des Mädchens.
Rosa Böhmer und ihre Familie teilen das Schicksal von Tausenden Sinti und Roma – Männer, Frauen und Kinder, – die unter dem Rassenwahn der Nationalsozialisten litten und sterben mussten. Die Sterbedaten der Familie Böhmer lassen sich in all ihrer Tragik anhand der Häftlingsregistratur in Auschwitz nachzeichnen:
Der sieben Monate alte Werner stirbt am 24. März 1943, bereits eine Woche nach der Ankunft in Auschwitz. Am 19. April stirbt der dreijährige Albert. Die vierjährige Sophie, der sieben Jahre alte Karl und die zehnjährige Elisabeth sterben wenige Tage voneinander, im Juli 1943. Rosas Tod ist am 13. August 1943 festgehalten, zehn Tage nachdem ihre Schwester Marie starb, die keine fünf Jahre alt wird. Anna Böhmer, ihre Mutter stirbt am 16. Dezember 1943 im Alter von 34 Jahren. Der neunjährige Willy kommt am 10. Januar 1944 ums Leben. Auch wenn der Tod der 13 Jahre alten Sonia nicht registriert ist, kann als sicher gelten, dass auch sie Auschwitz nicht überlebt hat.