Anfang 1932 lebten in Alt-Gelsenkirchen etwa 1.440 Menschen, die sich der jüdischen Gemeinde zugehörig zeigten. Juden und Jüdinnen gehörten zu dieser Zeit bereits seit Jahrzehnten zum städtischen Leben in Gelsenkirchen. Die Jüdische Gemeinde verfügte über reges Vereinsleben und über eine Volksschule, die von etwa 140 Kindern besucht wurde. In Buer, das seit 1928 zusammen mit Horst zu Gelsenkirchen gehörte, gab es eine kleinere jüdische Gemeinde mit etwa 150 Mitgliedern, die eine eigene Synagoge hatte. Im Stadtteil Horst trafen sich die knapp 100 jüdischen Gemeindemitglieder in einem Betsaal. Im Jahr der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ 1933 galten offiziell 1.616 der 332.545 Einwohnerinnen und Einwohner Gelsenkirchens als jüdisch.
Rund sechzig Prozent der berufstätigen jüdischen Gelsenkirchener arbeiteten im Bereich des Handels, die anderen waren als Angestellte, Arbeiter oder in kleineren Handwerksbetrieben tätig. Mehr als die Hälfte von ihnen war im Deutschen Reich geboren, viele davon in Gelsenkirchen. In der Stadt lebten auch etwa zwanzig Prozent sogenannte Ostjuden, also Jüdinnen und Juden, die nach dem Ersten Weltkrieg aus osteuropäischen Ländern, zumeist aus Polen, auf der Suche nach Arbeit, häufig auch auf der Flucht vor Antisemitismus nach Deutschland gekommen waren.
Nicht alle waren sie Mitglied in einer der jüdischen Gemeinden in Gelsenkirchen, Buer oder Horst. Manche zogen einen orthodoxen Gottesdienst in einer Betstube vor, andere waren überhaupt nicht religiös gebunden. Einige hatten sich lange schon taufen lassen und besuchten den christlichen Gottesdienst.
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten bestimmte der Staat, wer Jude und Jüdin war. Der Boykottaufruf jüdischer Geschäfte am 1. April 1933, der auch in Gelsenkirchen vielfach durch SA- und SS-Trupps auf erniedrigende und brutale Weise durchgesetzt wurde, hinterließ bei den jüdischen Kaufleuten einen Schock. Diese antisemitischen Vorkommnisse bewogen nicht wenige Familien dazu, ihre Heimat zu verlassen. Eine erste große Emigrationsbewegung lässt sich im Anschluss für das gesamte Deutsche Reich feststellen.
Die „Nürnberger Rassegesetze“ legten ab 1935 anhand biologischer, pseudowissenschaftlicher Kriterien fest, wer Teil der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft sein sollte und regelten die gezielte Ausgrenzung und Verfolgung der Juden und Jüdinnen: Begriffe, wie „Arier“, „Halbjude“, „Viertel-“ oder „Volljude“ und Bezeichnungen wie „jüdische Mischehe“, „privilegierte Mischehe“ usw. wurden auch in Gelsenkirchen Teil der Behördensprache.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 gingen organisierte Schlägertrupps der SA und SS im gesamten Deutschen Reich gewaltsam gegen Synagogen, jüdische Einrichtungen und Geschäfte vor. Sie zündeten Gebäude an und schändeten Kultusgegenstände, plünderten und zerstörten Wohnungen. Zehntausende Juden wurden in dieser Nacht misshandelt, verhaftet, mindestens 400 Personen getötet. 30.000 Juden wurden in Konzentrationslager gebracht und erst nach Wochen wieder freigelassen. Im Angesicht von Terror und Mord suchten viele jüdische Familien nun Ausreisemöglichkeiten, stellten Visaanträge und kontaktierten Verwandte im Ausland. Oft wurden Kinder auch alleine, mit einem sogenannten Kindertransport, ins Ausland geschickt. Für Gelsenkirchen lassen sich u.a. Emigrationsbewegungen in die Niederlande, nach England und in die USA nachvollziehen, dies betraf Familien ebenso wie allein reisende Kinder. Ebenso lassen sich zahlreiche Fälle von „Arisierung“ nachweisen, bei denen jüdische Eigentümer zum Verkauf von Grundstücken und Häusern weit unter ihrem tatsächlichen Wert gezwungen wurden.
Viele Familien hatten keine Möglichkeit, durch Flucht der zunehmenden Bedrängung zu entkommen. Im Rahmen der sogenannten Polenaktion wurden Ende Oktober 1938 kurzfristig mindestens 17.000 im Deutschen Reich lebende, aus Polen stammende Juden und Jüdinnen gewaltsam an die polnische Grenze abgeschoben. Auch eine hohe Zahl der Gelsenkirchener Jüdinnen und Juden erhielten im Rahmen dieser „Polenaktion“ die Aufforderung, unverzüglich das Land zu verlassen.
Insgesamt wurden aus Gelsenkirchen in den Jahren 1942 bis 1944 mindestens 600 Menschen „nach dem Osten evakuiert“, wie es die nationalsozialistische Bürokratie verschleiernd nannte. Ein erster großer Transport fand am 27. Januar 1942 statt, mit dem 355 Gelsenkirchener Juden und Jüdinnen in das Ghetto Riga verschleppt wurden. Am 31. März 1942 folgte eine Deportation nach Warschau und am 27. Juli 1942 ein großer Transport nach Theresienstadt. Viele Menschen wurden nach ihrer Ankunft am Bestimmungsort sofort ermordet. Andere Deportierte wurden in Zwangsarbeitslager oder in ein Vernichtungslager weitergeschickt, wo sie an Erschöpfung oder Krankheiten wie Typhus starben.
Auf die großen Transporte des Jahres 1942 folgten kleinere Verhaftungs- und Deportationsaktionen. Auch die bisher von der Deportation ausgeschlossenen jüdischen „Mischehepartner“ und die „Mischlinge“ wurden am 19. September 1944 durch die Gestapo verhaftet und verschleppt. Ende 1944 war Gelsenkirchen in der Terminologie des NS-Staates „judenfrei“.
Am 4. Juli 1944 erreichte Gelsenkirchen ein Transport aus Auschwitz mit etwa 2.000 ungarischen Jüdinnen, die zur Trümmerbeseitigung eingesetzt werden sollten. Die Frauen kamen notdürftig in einem Zwangsarbeitslager in der Nähe des Hydrierwerks der Gelsenberg Benzin AG unter, das dem KZ Buchenwald zugeordnet war. Bei schweren Bombenangriffen auf das Hydrierwerk am 11. September 1944 kamen mindestens 150 Frauen ums Leben, viele Schwerverletzte wurden in Gelsenkirchener Krankenhäusern behandelt. Mit Hilfe von Krankenschwestern und Unterstützern konnten 17 Frauen aus Ungarn ihrer Weiterdeportation in den letzten Kriegstagen entgehen. Sie erlebten ihre Befreiung durch US-Truppen Anfang April 1945 im Krankenhaus. Ein Gedenkstein auf dem Friedhof Horst-Süd in Gelsenkirchen erinnert an die jüdischen Zwangsarbeiterinnen, die ihr Leben in Gelsenkirchen ließen.
Die Juden und Jüdinnen der Stadt waren emigriert, vertrieben, ausgebürgert oder auch deportiert worden. Nur sehr wenige von ihnen hatten sich durch Untertauchen der Verfolgung entziehen können. Von vielen Menschen, die aus Gelsenkirchen deportiert wurden, fehlte jede Spur. Auch diejenigen, die versucht hatten, in den Niederlanden, Frankreich oder Belgien der Verfolgung zu entkommen, waren nicht aufzufinden. Sie galten in der Behördensprache als „verschollen“ und wurden nach dem Krieg „für tot erklärt“ – tatsächlich wurden sie im Zuge der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik ermordet.
Im Jahr 1946 lebten etwa 70 Juden und Jüdinnen in Gelsenkirchen. Diese kleine Gruppe hatte schon im Sommer 1945 das „Gelsenkirchener Jüdische Hilfskomitee” aufgebaut, aus dem schließlich die neue Kultusgemeinde entstand.