27. Januar 2011, 11:53 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren Stadtverordnete,
meine Damen und Herren,
Der Haushaltsplanentwurf 2011 ist der erste, den ich Ihnen in meiner neuen Verantwortung als Kämmerer der Stadt Gelsenkirchen vorlege. Trotz erheblicher Sparanstrengungen und Überrollung der Ergebnisse aus 2009 weist - wie in den Vorjahren - auch dieser Entwurf mit einem Jahresfehlbetrag von 108 Mio. € ein hohes strukturell bedingtes Defizit aus. Auch im mittelfristigen Planungszeitraum bis 2014 kann dieses strukturelle Defizit nicht abgebaut werden. Durch die Höhe der jeweiligen Defizite wird die allgemeine Rücklage jeweils um mehr als 5% vermindert.
Gelsenkirchen steht dabei nicht alleine da:
Als Folge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise stürzte der Finanzierungssaldo aller deutschen Kommunen von plus 7,6 Mrd. € in 2008 in 2010 auf etwa minus 15 Mrd. € ab. Das ist eine Verschlechterung in nur 2 Jahren um fast 23 Mrd. € und ein deutlicher Beleg dafür, dass die negative Finanzsituation der Kommunen nicht selbstverschuldet ist.
Diese Krisensituation trifft dabei gerade die Kommunen, an denen bereits vor der Wirtschaftskrise der wirtschaftliche Aufschwung „vorbeigegangen“ ist.
In 2010 mussten von den 396 Städten und Gemeinden in NRW 139 und damit mehr als ein Drittel einen Nothaushalt aufstellen. 9 Kommunen galten bereits als überschuldet in etwa eben so viele waren gerade noch in der Lage ihren Haushalt auszugleichen.
Auch wenn sich durch die ersten Modellrechnungen zum Gemeindefinanzierungsgesetz 2011 unsere bis 2014 geplanten Defizite verringern werden, so ändert dies nichts daran, dass wir auch für 2011 ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen müssen. Auch dieses Haushaltssicherungskonzept hat – zumindest nach den gegenwärtig noch geltenden Spielregeln der Kommunalaufsicht - keine Aussicht auf Genehmigung, da bis 2014 kein Haushaltsausgleich darstellbar ist. D.h., sollten die geltenden Regelungen zur Haushaltssicherung fortbestehen, befinden wir uns in Gelsenkirchen auf nicht absehbare Zeit im Nothaushaltsrecht.
Die Lage ist daher ernst aber sie ist nicht hoffnungslos, ganz im Gegenteil, wir können durchaus optimistisch in die Zukunft schauen. Hierfür gibt es drei wesentliche Gründe:
· Die gute wirtschaftliche Entwicklung in 2010 wird sich auch in 2011 weiter fortsetzen und zumindest auf der Einnahmenseite etwas Entlastung bringen.
· Die neue Landesregierung in NRW hat sowohl aufsichtsrechtliche als auch finanzielle Verbesserungen für die Kommunen angekündigt.
· Und nicht zuletzt der Bund erkennt langsam aber sicher, dass der Kompetenz, Leistungen zu definieren auch die Verpflichtung, deren Finanzierung sicher zu stellen, folgen muss.
Das sind zunächst nur Hoffnungen auf eine Besserung unserer Situation. Wer von der Hoffnung lebt, stirbt bekanntlich an Verzweifelung.
Daher müssen wir das Heft selber in die Hand nehmen. Das Konzept dazu steht. Kern des im Entwurf vorgelegten Haushaltssicherungskonzepts ist die Perspektive, wie - wenn nicht im mittelfristigen Planungszeitraum bis 2014, - zumindest bis 2020 der Haushaltsausgleich realisiert werden kann. Aber, das funktioniert nur, wenn Bund und Land sich Ihrer Verantwortung nicht verweigern.
Zunächst, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich Ihnen kurz den Haushaltsplanentwurf 2011 skizzieren, bevor ich dann den Blick in die Zukunft richte und Ihnen das „Konzept zur nachhaltigen Konsolidierung des Haushalts“ darstelle.
Entwurf Haushaltsplan 2011
1. Allgemeines
Wie bereits vorgetragen sieht die Planung für 2011 ein Defizit von 108 Mio. € vor. Dies liegt daran, dass Erträgen von 703 Mio. €, Aufwendungen von fast 812 Mio. € gegenüberstehen.
2. Erträge
Die Erträge setzen sich dabei im Wesentlichen aus Steuern und Zuwendungen zusammen.
Unter den Steuern ist die Gewerbesteuer weiter die mit Abstand bedeutsamste Ertragsquelle. Auch wenn diese Steuerart großen Schwankungen unterliegt, so muss sie weiterhin fester Bestandteil des kommunalen Haushalts bleiben! Über die Jahre hinweg ist nämlich die Gewerbesteuer auch für Gelsenkirchen die einzige Einnahmequelle, die in etwa mit den Steigerungsraten der Sozialaufwendungen mithalten kann.
Der Einbruch bei der Gewerbesteuer 2010 basierte, so nehmen wir an, auf einem Einmaleffekt. Für 2011 gehe ich von einem „normalen“ Geschäftsverlauf aus und sehe daher den Ansatz von nun 128 Mio. € als gerechtfertigt an. Für die Folgejahre gehe ich von einer weiteren positiven Entwicklung der Gewerbesteuer aus. Aber erst für 2014 erwarte ich, dass die Gewerbesteuer mit dann rd. 160 Mio. € annähernd wieder auf dem Niveau des Aufkommens von 2008 liegt. So sieht also der Nachhall der Finanz- und Wirtschaftskrise für Gelsenkirchen aus.
Eine weitere wesentliche Steuerquelle ist der Anteil am Steuerverbund. Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung wird eine höhere Verteilungsmasse erwartet, die die Erträge aus dem Gemeindeanteil an der Einkommensteuer und der Umsatzsteuer zusammen um 3 Mio. € gegenüber dem Ansatz 2010 auf rd. 71 Mio. € ansteigen lässt. Auch hier wird die verbesserte Wirtschaftslage das Aufkommen mittelfristig steigen lassen.
Unter den Zuwendungen sind mit veranschlagten 169 Mio. € wie bisher die Schlüsselzuweisungen der bedeutendste Posten. Aufgrund der geplanten Änderungen des Gemeindefinanzierungsgesetzes wird über den höheren Soziallastenansatz Gelsenkirchen aller Voraussicht nach mit 5 Mio. € mehr rechnen können, die über das Veränderungsverzeichnis eingebracht werden.
Dass die Schlüsselzuweisungen gegenüber 2010 immer noch um rd. 3 Mio. € abnehmen, liegt an der überdurchschnittlichen Steuerkraft Gelsenkirchens im Referenzzeitraum, der den Steuereinbruch in 2010 nicht mit berücksichtigt. Dieser wird sich erst im GFG 2012 auswirken.
3. Aufwendungen
Unter den Aufwendungen sind die Transferaufwendungen mit rund 331 Mio. € weiter der mit Abstand größte Aufwandsblock. Unter den Transferaufwendungen selbst sind die Aufwendungen für Sozialtransfers mit 163 Mio. € der wesentliche Aufwandsposten. Nach dynamischen Steigerungen in der Vergangenheit besteht für 2011 aufgrund der wirtschaftlichen Erholung die berechtigte Hoffnung, dass zumindest die Aufwendungen nicht weiter steigen.
Der größte Einzelposten, die Kosten der Unterkunft, werden demnach aufgrund erwarteter geringerer Fallzahlen gegenüber dem Vorjahr um 1 Mio. € auf brutto 87 Mio. € sinken. Aufgrund der Ankündigung der Bundesregierung, den Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft von 23% auf 24,5% zu erhöhen, werden Mehrerträge bei den Erstattungen von 1,3 Mio. € anfallen, auch diese fließen über das Veränderungsverzeichnis ein.
Neben den Kosten der Unterkunft belasten weitere Sozialtransfers den Gelsenkirchener Haushalt erheblich: Dies sind
· 14,9 Mio. € Nettoaufwendungen für die Grundsicherung im Alter (2010: 15,5 Mio. €)
· 17,2 Mio. € für Hilfe zur Erziehung (2010: 14,5 Mio. €)
· 33 Mio. € zur Förderung von Kindern in Tagesbetreuung (2010: 30,9 Mio. €)
· 24 Mio. € Hilfe bei Pflegebedürftigkeit (2010: 21.8 Mio. €)
Unter den allgemeinen Umlagen ist die Landschaftsumlage die Bedeutendste. Der LWL verwendet seine Umlagemittel fast ausschließlich zur Finanzierung von Leistungen der Eingliederungshilfe, also für Menschen mit Behinderung. Die Zahl der Leistungsempfänger steigt seit Jahren und wird aufgrund demographischer und medizinischer Entwicklungen auch in den Folgejahren noch weiter steigen.
Die im Rahmen des GFG 2011 ermittelte Finanzkraft der Stadt Gelsenkirchen hat sich erhöht, anders als bei den übrigen Umlage zahlenden Mitgliedskörperschaften des LWL. Diese gegensätzliche Entwicklung wirkt sich für Gelsenkirchen negativ auf die Berechnung der Landschaftsumlage aus. Der im Haushaltsplanenetwurf eingestellte Wert in Höhe von 53,5 Mio. € wird sich um über 5 Mio. € auf mindestens 58,7 Mio. € erhöhen. In 2010 waren 54,7 Mio. € zu leisten.
Neben einer Gewerbesteuerumlage in Höhe von 9,4 Mio. € tragen wir auch im Jahr 21 nach der Wiedervereinigung mit 9,6 Mio. € zur Finanzbeteiligung der Kosten der Deutschen Einheit bei.
Die Personalaufwendungen bleiben in 2011 trotz allgemeiner Tarifsteigerungen mit 142,1 Mio. € nahezu konstant. Hier greifen insbesondere die im Haushaltssicherungskonzept 2010 bis 2013 beschlossenen Maßnahmen, wonach u.a. frei werdende Stellen nur noch eingeschränkt wiederbesetzt werden.
Der Zinsaufwand wird in 2011 insbesondere aufgrund des gestiegenen Volumens an Liquiditätssicherungskrediten und einem erwarteten höheren Durchschnittszinssatzes auf geplante 22 Mio. € steigen. Zum Vergleich: In 2010 wurden „nur“ 18 Mio. € verausgabt, da durch optimiertes Zinsmanagement der Durchschnittszinssatz für Kassenkredite auf 1% vermindert werden konnte. Man darf aber nicht verkennen, dass wir immer noch in einem historischen Zinstief leben. Bereits geringe Zinssteigerungen erhöhen den hierfür zu leistenden Aufwand explosionsartig um mehrere Millionen Euro!
4. Investitionen
Soweit zur Ergebnisplanung 2011. Widmen wir uns den Investitionen. Trotz angespannter Haushaltslage wird die Stadt Gelsenkirchen auch in 2011 weiter den Bestand bestmöglich erhalten und in die Zukunft investieren. Der Haushaltsplanentwurf sieht Investitionen in einer Größenordnung von 75 Mio. € vor.
Da die Stadt keinen genehmigungsfähigen Haushalt für 2011 vorlegen kann, müssen die Investitionen wie im Vorjahr priorisiert werden. Für echte neue unrentierliche Investitionen steht zurzeit ein Finanzierungsrahmen von rund 12 Mio. € -entsprechend 2/3 der ordentlichen Tilgungen- zur Verfügung. Sollte – wie von der Landesregierung in Aussicht gestellt - dieser Rahmen auf 100% der ordentlichen Tilgungen erhöht werden, könnten weitere 5 Mio. € investiert werden.
Eine Entscheidung, ob es den berüchtigten „roten Strich“ weiter geben wird und wo er liegen könnte steht aber noch aus. Ich bitte nur zu bedenken, dass jede Investition unseren Haushalt auch langfristig belastet und der sorgsame Umgang hiermit auch eine Frage der Generationengerechtigkeit ist.
Da der Ergebnishaushalt mit einem hohen Defizit abschließt, sind wir nicht in der Lage, die Investitionen aus eigenen Mittel zu erwirtschaften. Neben Fördermitteln vom Land müssen wir auch neue Kredite aufnehmen. Der Stand unserer Investitionskredite wird sich von 400 Mio. € Ende 2010 auf 422 Mio. € erhöhen. Dahinter verbirgt sich aber auch die Fertigstellung des Neuen Hans-Sachs-Hauses!
Die Pro-Kopf-Verschuldung erhöht sich um 100 € auf 1.645 €. Natürlich wirkt sich bei dieser Berechnung auch der Einwohnerrückgang in Gelsenkirchen negativ aus.
Die Höhe der Kredite zur Liquiditätssicherung betrugen zum 31.12.2010 rd. 375 Mio. €. Im Vergleich zu anderen Städten aus NRW stehen wir damit noch gut dar! Das hat jedoch seinen Grund: Vermögensveräußerungen in der Vergangenheit! Während Gelsenkirchen sein Tafelsilber bereits vor Jahren zur Schuldentilgung veräußert hat, sitzen diejenigen Kommunen, die momentan Spitzenreiter bei den Kassenkrediten sind, zumeist noch auf erheblichen Vermögenswerten und bauen diese zum Teil noch aus.
5. Vermögenslage
Abschließend noch Anmerkungen zur Vermögenslage der Stadt.
Aufgrund der geplanten Defizite wird sich das Eigenkapital der Stadt im mittelfristigen Planungszeitraum um 410 Mio. € auf 90 Mio. € Ende 2014 vermindern. Mit den absehbaren Verbesserungen aus dem GFG 2011 wird sich das Eigenkapital Ende 2014 noch im 3-stelligen Millionenbereich bewegen.
Zumindest die drohende Überschuldung kann somit im Planungszeitraum abgewendet werden. Das war und ist Voraussetzung für den Erhalt eines Mindestmaßes an eigener Haushaltshoheit.
Meine Damen und Herren, soweit zu den Zahlen des Haushaltsplanentwurfs 2011.
Konzept zur nachhaltigen Konsolidierung
1. Allgemeines
Kommen wir nun zum angekündigten „Konzept zur nachhaltigen Konsolidierung des Haushalts“ in Gelsenkirchen. Dieses Konzept ist 3-stufig aufgebaut:
1. Analyse der Ausgangssituation
2. Notwendige Beteiligung von Bund und Land
3. Eigene Maßnahmen der Stadt
Am Ende des Konzepts steht ein perspektivischer Haushaltsausgleich bis 2020. Der angestrebte Haushaltsausgleich ist unabdingbar, bedeutet doch ein Verharren im Nothaushaltsrecht erhebliche, ja vielleicht noch weitergehende Beschneidungen der kommunalen Haushaltswirtschaft d.h.:
· Beschränkung von Auszahlungen auf pflichtige oder begonnene Maßnahmen
· Pflicht zur Reduzierung freiwilliger Leistungen
· weitgehender Verzicht auf Beförderungen und Neueinstellungen
Dieses Damoklesschwert muss durch den perspektivischen Haushaltsausgleich abgewendet werden!
Der Erhalt einer lebenswerten Stadt steht auf dem Spiel! Und der Erhalt einer lebenswerten Stadt sind wir den nachfolgenden Generationen schuldig!
2. Analyse der Ausgangssituation
Kommen wir zur Analyse unserer Ausgangssituation.
Der Ausbau des Wohlfahrtsstaats ist in der Vergangenheit nach monotonem Muster verlaufen: Was der Bundestag in Berlin und der Landtag in Düsseldorf beschlossen haben, muss der Kämmerer in Gelsenkirchen bezahlen! Eigentlich eine prima Sache – aber eben auch nur für die Verantwortlichen in Berlin und Düsseldorf.
Die Folgen dieser jahrzehntelangen Politik können 1:1 in den kommunalen Haushalten abgelesen werden: Während in 2009 und 2010 aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise die Steuereinnahmen bei den Kommunen um 11,4% bzw. 4,7% eingebrochen sind, stiegen die Ausgaben für Sozialtransfers um 4,9% bzw. 4,4%.
Da stellt sich schnell die Frage: Welche Wachstumsraten müssen künftig generiert werden, um überproportional steigende Sozialtransfers über höhere Steuereinnahmen noch finanzieren zu können?
Schon jetzt müssen die Erträge aus Gewerbesteuer und Verbundsteuern fast vollständig zur Leistung von Sozialtransfers eingesetzt werden.
Fazit: Die Überwälzung der dynamisch steigenden Ausgaben für soziale Sicherung vom Bund auf die Kommunen hat tiefe Schlaglöcher in die kommunalen Haushalte gerissen, die auch nicht mehr durch Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen an anderer Stelle wirksam geschlossen werden können.
Gelsenkirchen ist an dieser Stelle besonders hart getroffen:
Durch Bevölkerungsrückgang brechen Steuereinnahmen und Schlüsselzuweisungen weg: Allein im Zeitraum 1994 bis 2009 sank die Bevölkerung um 11%, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten sogar um 19%. Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz etwas zu den Überlegungen zu einem kommunalen Hebesatzrecht auf die Einkommensteuer sagen: Sie alle kennen die Bevölkerungsentwicklung unserer Stadt nur zu gut, ebenso die Haushaltssituation. Sollte uns also die Möglichkeit eröffnet werden, die Einkommensteuer vor Ort, wenn auch nur in einem begrenzten Umfang zu erhöhen, wird es für uns unweigerlich zur Auflage der Kommunalaufsicht, alle Spielräume auszureizen. Resultat: Es werden Steuerzahler aus Gelsenkirchen vertrieben.
Gleichzeitig steigen die Ausgaben für Sozialtransfers. In Gelsenkirchen leben mittlerweile fast 45.000 Menschen von Hartz IV (Stand September 2010), das entspricht einer Quote von fast 22% bezogen auf alle Menschen unter 65 Jahren. Zum Vergleich: NRW-weit liegt die Quote bei 11,6%, bundesweit bei lediglich 10,2%.
Der Blick in die Zukunft sieht leider auch nicht rosiger aus, im Gegenteil. Jährlich werden in Gelsenkirchen 800 Kinder direkt „in Hartz IV“ geboren. Das sind fast 40% aller Neugeburten in Gelsenkirchen.
Fazit: In Gelsenkirchen öffnet sich bedrohlich die „Demographieschere“. Die Einnahmen brechen weg oder stagnieren, die Ausgaben für Sozialtransfers steigen. Dagegen kann man genauso wenig ansparen wie Wasser den Berg hochfließt.
3. Notwendige Beteiligung von Bund und Land
Wie dargestellt, sind die Haushaltsprobleme der Stadt Gelsenkirchen nicht das Ergebnis eigenen Verschuldens, sondern Ergebnis stetiger Aufgabenübertragung ohne ausreichende finanzielle Kompensation. Wenn nun finanzielles Engagement von Bund und Land erwartet wird, sind dies keine Almosen, die wir einfordern, sondern lediglich eine angemessene finanzielle Beteiligung an den uns übertragenen Aufgaben.
Ein erster Schritt ist die angemessene Berücksichtigung sozialer Lasten bei der Verteilung der Schlüsselzuweisungen des Landes. Ein hoher Anteil Langzeitarbeitsloser an der Gesamtbevölkerung bedingt nun einmal einen höheren Finanzbedarf. Bisher wurde beim Gemeindefinanzierungsgesetz auf Basis der Grunddatenanpassung in 2003 - also auf Zahlen aus 1999 - der Soziallastenansatz mit dem Faktor 3,9 berücksichtigt. Nach Berechnungen in 2010 auf der Zahlenbasis von 2008 müsste der Faktor auf 15,3 also fast um das Vierfache steigen, um den Mehrfinanzbedarf angemessen zu berücksichtigen.
Auf Basis der Modellberechnungen 2011 wirkt sich der Unterschied von Faktor 15,3 zu Faktor 3,9 mit rund 44 Mio. € auf die Schlüsselzuweisungen der Stadt Gelsenkirchen aus. Ein erster Erfolg aus Gelsenkirchener Sicht ist zumindest schon geschafft. So sieht der Gesetzentwurf zum Gemeindefinanzierungsgesetz 2011 einen Faktor von 9,6 vor.
Ein weiterer wichtiger Schritt ist die stärkere Beteiligung des Bundes an den dynamisch steigenden Sozialaufwendungen. Der Landtag NRW hat bereits am 29.10.2010 auf Antrag der Fraktionen von CDU, SPD und Bündnis 90 / Die Grünen die Forderung nach stärkerer Beteiligung des Bundes beschlossen. Danach soll sich der Bund ab 2011 dynamisch zur Hälfte an
· den Kosten der Unterkunft nach SGB II,
· den Ausgaben bei der Kinder- und Jugendhilfe,
· den Kosten der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen,
· den Kosten der Grundsicherung im Alter sowie
· den Kosten der Hilfe zur Pflege
beteiligen. Der Antrag ist dem Haushaltssicherungskonzept als Anlage beigefügt.
Sollte der Bund dieser Forderungen nachkommen, wäre in Gelsenkirchen – angesichts der Aufwendungen für Sozialtransfers und Umlagen in einer Größenordnung von über 200 Mio. € in 2011 - bereits der entscheidende Grundstein für eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung gelegt.
Erlauben Sie mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, hier ein kurzes Fazit zu den Kommunalfinanzen, die aktuell nicht nur vor Ort, sondern auch beim Land und beim Bund z.T. sehr emotional diskutiert werden: Die Kommunen sind erheblich unterfinanziert! Prof. Junkernheinrich hat ermittelt, dass für NRW diese Unterfinanzierung jährlich bei strukturell rd. 2 Mrd. € liegt. Welche Regeln sind nun bei einer finanziellen Entlastung anzuwenden?
1. Die in der Vergangenheit bereits erbrachten Sparbeiträge sind anzuerkennen!
2. Die Vermögenssituation vor Ort ist zu berücksichtigen!
3. Derjenige, der über Standards beschließt, muss auch deren Finanzierung sicher stellen, eigentlich eine Selbstverständlichkeit!
4. Im Rahmen von solidarisch angelegter Mittelumverteilung, die dazu beitragen soll, die Lebensverhältnisse anzugleichen, muss die Bedürftigkeit und nicht die Himmelsrichtung im Vordergrund stehen!
Was nicht geht, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist, dass ohnehin zu wenig Mittel auch noch falsch verteilt werden! Jeder, der dem Abhilfe schafft, wird meine Unterstützung finden!
4. Eigene Maßnahmen der Stadt
Die skizzierten Hilfen von Bund und Land alleine reichen aber nicht aus. Als dritte Säule sieht das Konzept zur nachhaltigen Konsolidierung des Haushalts daher weitere eigene Maßnahmen vor.
Es ist natürlich nicht so, als hätten wir in der Vergangenheit nicht sämtliche Anstrengungen zur Konsolidierung unternommen. Diese Maßnahmen haben ihre Wirkung auch nicht verfehlt.
In Zahlen einmal betrachtet kann man sagen, dass Gelsenkirchen seit Beginn der 90er Jahre bis 2010 Defizite in Höhe von rd. 1,3 Mrd. € Mio. € aufgebaut hätte. Damit es nicht dazu gekommen ist, wurde für fast 370 Mio. € Vermögen veräußert und es wurden Haushaltssicherungskonzepte in einem Volumen von rd. 180 Mio. € aufgestellt. D.h. fast die Hälfte der potenziellen Defizite wurde bereits durch eigene Anstrengungen vermieden! Ich erinnere daran, dass wir seit 1982 830 Stellen netto abgebaut haben! Es hätten sogar noch 384 Stellen mehr sein können, wären nicht neue Aufgaben der Stadt übertragen worden.
Die verbleibenden Defizite von rd. 750 Mio. € sind dabei
• mit über 230 Mio. € auf den „Soli“,
• auf einen unangemessenen Soziallastenansatz und
• auf eine unzureichende Beteiligung des Bundes insbesondere bei den Kosten der Unterkunft und der Eingliederungshilfe zurück zu führen.
D.h. hätten sich Bund und Land eher in die jetzt eingeschlagene Marschrichtung bewegt, wäre so ein struktureller Haushaltsausgleich für Gelsenkirchen durchaus möglich!
Nichts desto trotz muss durch weitere eigene Initiativen deutlich gemacht werden, dass es uns mit der Konsolidierung weiterhin ernst ist:
Der bisherige Sparkurs wird daher beibehalten, insbesondere der Personalhaushalt wird weiter restriktiv bewirtschaftet. Somit werden bis 2013 6 Mio. € eingespart. Und dies vorab: Weitere Sparmaßnahmen im Personalhaushalt sind nur unter Streichung von kompletten Aufgabenbereichen erzielbar! An dieser Stelle ist die Luft raus! Flankiert wird dieser Prozess aber durch ein zukunftsfähiges Personalentwicklungskonzept. Die Herausforderungen der Zukunft können nur mit einem motivierten und gut ausgebildeten Personalkörper gestemmt werden! Nach wie vor gilt unmissverständlich: Bei der Stadt Gelsenkirchen wird es keine betriebsbedingten Kündigungen geben und wir bilden weiter aus.
Weiter werden wir an der Optimierung unserer Leistungserbringung arbeiten. Insbesondere im „Konzern Stadt“ werden wir Querschnittsaufgaben zentralisieren, um damit mengenbedingte Effizienz- und Qualitätsvorteile zu erzielen.
Ein alleiniger Blick auf die Aufwandsseite reicht aber nicht aus. Das Hauptproblem ist die ungünstige Bevölkerungsstruktur unserer Stadt. Daher müssen alle Ressourcen der Wirtschaftsförderungs- und Stadtentwicklungspolitik sowie der Sozial- und Bildungspolitik gemeinsam auf die Attraktivitätssteigerung des Standorts Gelsenkirchen gelenkt werden.
Solange immer noch der Schopenhauersatz gilt - „Wir denken selten an das, was wir haben, aber immer an das, was uns fehlt.“ (Schopenhauer) wird uns dies aber nicht gelingen. Gelsenkirchen muss wieder positiv wahrgenommen werden als Standort zum Wohnen, Leben und Arbeiten (und möglichst auch Steuern zahlen). Wir alle müssen dazu beitragen und das sollten wir auch selbstbewusst tun!
Das Flächenpotential für Gewerbeansiedlung und Wohnbebauung ist heute zweifellos vorhanden. Lassen Sie es uns gemeinsam erschließen!
Hebesätze bei Gewerbe und Grundsteuer, die deutlich über den Werten im Umfeld liegen, machen eine Stadt für Unternehmen, aber auch für Einwohner unattraktiv. Da Gelsenkirchen bereits seit Jahren in der Spitzengruppe dieser Steuersätze liegt, sieht der Haushaltsplanentwurf keine Anhebung der Realsteuersätze vor.
Sollten die Maßnahmen „Beibehaltung des Sparkurses“ auf der einen und „soziale Standortentwicklung“ auf der anderen Seite alleine nicht reichen, steht zusätzlich zur Konsolidierung noch einmaliges „strategisches Potential“ in der Form stiller Bewertungsreserven zur Verfügung. Dieses strategische Potential kann aber nur dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn ein struktureller Haushaltsausgleich nachhaltig erreichbar ist, da dies wie Vermögensveräußerungen nur Einmaleffekte sind.
5. Zeitlicher Horizont
Meine Damen und Herren, soweit zu den Eckpunkten des Konzepts zur nachhaltigen Konsolidierung des Haushalts. Wie dargestellt, lässt sich dieses Konzept
• nicht allein und
• auch nicht im mittelfristigen Planungszeitraum
umsetzen.
Nur wenn Bund und Land sich an diesem Konzept beteiligen und die Landesregierung – wie angekündigt – den Zeitraum für den Haushaltsausgleich nicht mehr auf den bisherigen mittelfristigen Planungszeitraum fixiert, kann dieses Ziel erreicht werden. Andersderum wäre der Haushaltsausgleich in Gelsenkirchen nur eine Vision. Spätestens seit Helmut Schmidt wissen wir aber: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“
Schluss
Meine Damen und Herren, der Weg, den wir in Gelsenkirchen zukünftig gehen müssen, wird - wie bisher - steinig und kraftraubend sein. Dennoch lohnt es diesen Weg der eigenen Konsolidierung weiter zu beschreiten! Ich erwarte aber, dass die bisherigen Sparanstrengungen dieser Stadt angerechnet werden. Gelsenkirchener sparen darf nicht bestraft werden! Die Attraktivität der Stadt muss gesichert bleiben!
Um das Ziel eines Haushaltsausgleichs bis 2020 zu schaffen, brauchen wir aber auch Partner, die nicht wie bislang im „Gänsemarsch“ gehen, sondern die sich unserem „Laufschritt“ anpassen. Bei den ständig wachsenden Haushaltsdefiziten in Gelsenkirchen und anderen Kommunen bedarf es „1. Hilfe“ von Land und Bund!
Ich appelliere auch an die Geschlossenheit der kommunalen Familie, die aktuell zu zerbrechen droht. Mal „Hand aufs Herz“, wenn die bedarfsgerechte Anpassung des Soziallastenansatzes endlich zu einer gerechteren Verteilung insgesamt immer noch viel zu knapper Mittel führt, verdeutlicht dies doch vor allem, wie marode die Finanzen nahezu aller Kommunen sind. Das sollte uns eher enger zusammenschweißen als spalten!
Mit der Bezirksregierung haben wir bislang einen gesprächsbereiten und fairen Partner an unserer Seite. Mit den vorgelegten Entwürfen von Haushaltsplan und Haushaltssicherungskonzept laden wir sie ein, mit uns gemeinsam den Gelsenkirchener Weg der nachhaltigen Konsolidierung weiter zu beschreiten!
Abschließend bedanke ich mich bei allen, die an der Aufstellung dieses Haushaltsplanentwurfes mitgewirkt haben. Hervorheben möchte ich dabei besonders die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kämmerei.
Sehr geehrte Damen und Herrn Stadtverordnete, das Ihnen heute vorgelegte Werk mit fast 1.300 Seiten wird durch den Vorbericht und die Vorbemerkungen zum Haushaltssicherungskonzept erklärt. Ich hoffe, damit die Transparenz innerhalb des immer noch sehr umfangreichen und nach wie vor gewöhnungsbedürftigen NKF-Haushaltsplans weiter zu verbessern, um dann für den Haushalt 2012 den eingeschlagenen Weg in den wirkungsorientierten Haushalt weiter zu beschreiten.
Ich wünsche uns konstruktive und gute Haushaltsberatungen und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Gelsenkirchen Glückauf!