13. Dezember 2018, 17:07 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
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Meine Damen und Herren,
ich begrüße Sie alle ganz herzlich – die Damen und Herren Stadtverordneten ebenso wie die Medienvertreter und unsere Gäste auf der Tribüne. Ich tue das von diesem eher ungewöhnlichen Platz aus. Denn wir haben heute auch eine etwas ungewöhnliche Tagesordnung.
Ja, genau das ist es eigentlich: Wir wollen in dieser letzten Sitzung des Rates im Jahr 2018 dann doch nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen – Frau Stadtverordnete Gärtner-Engel hat auch nochmal zu Recht darauf hingewiesen. Wir wollen doch noch einmal kurz innehalten. Innehalten in diesen Tagen, in denen der Steinkohlebergbau sich endgültig aus dem Ruhrgebiet und dem ganzen Land verabschiedet. Ich denke, das sind wir unserer Geschichte als Bergbau-, als Industriestadt auch in diesem Gremium schuldig. Und deswegen haben wir für den Beginn dieser Ratssitzung einige Gäste eingeladen, mit denen wir uns gemeinsam noch einmal dieser bewegten Geschichte erinnern wollen. Das ist zum einen der Knappenchor Consolidation 1917, den Sie hinter mir sehen. Meine Herren, Ihnen ein herzliches Willkommen und vielen Dank, dass Sie diesen Moment mit uns gestalten. Und das ist zum anderen der neue Leiter unseres Instituts für Stadtgeschichte, Dr. Daniel Schmidt, der gleich einige Schlaglichter auf die Bergbaugeschichte unserer Stadt werfen wird.
Denn auch wenn Gelsenkirchen ja bereits 2008 mit der Schließung der Zeche Westerholt Abschied vom Bergbau genommen hat, so ist die Zäsur, die dieser endgültige Abschied im Jahr 2018 für das Ruhrgebiet bedeutet, ja noch einmal eine ganz andere. Mit der letzten Schicht, die nächste Woche in Bottrop verfahren wird, endet die Bergbaugeschichte des Ruhrgebiets. Das, was unsere Region und alle unsere Städte überhaupt erst hat entstehen lassen, wird dann definitiv Geschichte sein. Das ist schon ein merkwürdiges Gefühl, das will ich nicht verhehlen.
Aber es ist natürlich auch nichts, was uns noch bange machen könnte. Dass wir keine Kohle mehr haben, das ist ja nichts Neues (nicht nur in Haushaltsberatungen…). Wir arbeiten ja bereits seit Jahrzehnten am Umbau einer Wirtschaftsstruktur, die von der Montanindustrie geschaffen und dominiert war. Man darf das bei der Gelegenheit auch gern noch einmal sagen: Dass eine Region den Wegfall ihres ursprünglichen und einzigen Daseinszwecks unterm Strich so gut verkraftet, das ist eigentlich nur spektakulär zu nennen. Wir müssen uns das nur noch einmal für Gelsenkirchen vor Augen halten: Innerhalb von vier Jahrzehnten hat unsere Stadt rund 80.000 Industriearbeitsplätze verloren. An den Spätfolgen dieses gewaltigen Umbruchs knabbern wir bis heute. Aber man muss eben auch ganz klar und deutlich sagen, dass das doch ein gewaltiger, ein rasanter Wandel ist, der uns hier in der Region da insgesamt gelungen ist, obwohl die Geschäftsgrundlage des ganzen Ruhrgebietes weggebrochen ist.
Auch wenn also nun in diesen Tagen allerorten Abschied vom Bergbau genommen wird – ein Abschied ist es eigentlich nicht. Denn auch wenn der Bergbau nun endgültig Geschichte ist, ist er nicht vergangen und wird es auch nie sein. Er prägt uns bis heute. Und er wird es in Zukunft tun. Ohne ihn gäbe es Gelsenkirchen nicht. Er hat die Stadt geschaffen und ihr ihr Gesicht verliehen. Mit allen Narben, die so dazugehören. Und an diesem Gesicht wird die Bergbaugeschichte noch in Jahrzehnten ablesbar sein: an der Stadtstruktur, an den so typischen Gartenstadtsiedlungen etwa, aber natürlich auch an den vielen heute umgenutzten Industriebauten. Ein Paradebeispiel ist da sicher die Zeche Nordstern. Gerade, weil es kein Museum ist, das nur nostalgisch an alte Zeiten erinnert. Kein reiner Ort der Vergangenheit, sondern ein Ort der Zukunft. Nordstern zeigt, wie aus Geschichte Zukunft wird, wie wir unser Erbe nicht verleugnen, sondern weiterentwickeln. Dass auf einer Zeche zunächst eine Bundesgartenschau stattfindet, war schon spektakulär. Dass dann eine der beliebtesten Parkanlagen des Ruhrgebiets daraus wird, noch mehr. Und dass am Ende die Zechengebäude der Unternehmenssitz des drittgrößten deutschen Immobilienunternehmens wird, sie auch ein Hotel beherbergen und am Ende hier wieder fast 2000 Menschen arbeiten, zeigt, was für vielfältige Potenziale unsere alten Zechen haben.
Das größte Potenzial unserer Bergbaugeschichte aber ist: Dass es eben unsere Geschichte ist. Andere haben andere Geschichten, aber diese gehört uns. Sie macht uns unverwechselbar – nicht nur durch ihre Hinterlassenschaften. Sondern weit mehr noch dadurch, wie sie uns geprägt hat.
Dass unsere Stadt nur dadurch entstanden ist, dass seit jeher Menschen aus unterschiedlichsten Ländern hierherkamen, ist schon in unsere Geschichte eingeschrieben – das hat uns geprägt.
Dass Menschen hier in erster Linie zum Malochen waren, dass hier nicht groß geredet, sondern angepackt wurde – das hat uns geprägt.
Dass man sich dabei aufeinander verlassen musste, dass sich auch der andere auf mich verlassen können musste, dass man solidarisch war – das hat uns geprägt.
Es liegt nun an uns, auch dieses immaterielle Erbe weiterzutragen. Nicht indem wir nostalgisch zurückblicken. Sondern indem wir mit dem, was wir aus unserer eigenen Geschichte mitbekommen haben, weiter mutig, anpackend und solidarisch die Aufgaben der Zukunft gestalten. Denn Berge versetzen hat bei uns schließlich Tradition!
Glück auf!