20. Dezember 2018, 17:48 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Kolumne von Oberbürgermeister Frank Baranowski
Liebe Gelsenkirchenerinnen,
liebe Gelsenkirchener!
Ein bisschen Wehmut, das Gefühl von Abschied – zum Jahresende gehört das einfach dazu. In diesem Jahr aber, mit dem nun unwiderruflichen Ende des Steinkohlebergbaus im gesamten Ruhrgebiet, fallen diese Emotionen noch einmal stärker aus als sonst. Mir jedenfalls geht das so, Ihnen vermutlich auch. Dabei ist diese Stimmung für uns vor allem eins: Anlass, noch einmal mit etwas Abstand auf unser aller Geschichte mit ihren langen Linien zu schauen.
Abschiednehmen, das ist schon ziemlich lange der Modus, in dem wir in Gelsenkirchen im Zusammenhang mit dem Bergbau verfahren. Eigentlich schon seit 1966, seit dem überraschend angekündigten Ende von Graf Bismarck, der damals größten und leistungsstärksten Gelsenkirchener Zeche. Vor zehn Jahren dann hat mit der Zeche Westerholt die letzte auf unserem Stadtgebiet befindliche Grube geschlossen. Seit 2008 sind also alle 14 Zechen und 70 Schächte auf Gelsenkirchener Stadtgebiet stillgelegt.
Der Bergbau mag damit eine abgeschlossene Geschichte sein – aber er ist und bleibt eine Geschichte, die nachwirkt. So war das nach 2008, so ist das auch nach der letzten Schicht auf Prosper Haniel. Denn er ist eben unsere Geschichte. Man wird unserer Stadt noch lange die Bergbau-Vergangenheit ansehen können, auch wenn nun niemand mehr diese eigentümliche, raue und zugleich auch so faszinierende Welt unter Tage betritt.
Man wird es an den Zechenanlagen und Fördertürmen erkennen, an der besonderen Siedlungsstruktur, den Gartenstädten rund um die alten Zechen. So gut wie jeder Gelsenkirchener Stadtteil war ja einmal mit einer Zeche verbunden. Und so gut wie jede Familie, die schon länger in Gelsenkirchen ansässig ist, hat einen Vorfahren – einen Vater, Großvater – der unter Tage gearbeitet hat. Ich natürlich auch.
Die Sondersendungen und Veröffentlichungen kurz vor Weihnachten haben viele Erinnerungen geweckt, bei denen wir sagen konnten: Stimmt, so war das! Und auch, was die grundsätzlichen Bewertungen anbelangt, können wir ohne Zögern zu vielen Einschätzungen sagen: Ja, das trifft schon zu. Denn es waren ja in der Tat Menschen aus ganz unterschiedlichen Regionen und Ländern, die hierhergekommen waren, die sich zusammengetan haben, auch über kulturelle Unterschiede hinweg, die dann später immer kleiner wurden. Es waren Menschen, die hart gearbeitet und so diese Region und unsere Stadt aufgebaut und gestaltet haben. Es waren Menschen, die meist nicht groß geredet, sondern angepackt haben.
Unter Tage musste sich einer auf den anderen verlassen, man musste solidarisch sein – auch das hat Gelsenkirchen, hat die Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener geprägt. Im und für den Bergbau wurden wichtige sozialstaatliche Elemente erkämpft, das Ruhrgebiet war auf diesem Gebiet Vorreiter und Vorbild.
All das ist ein starkes Erbe. Und damit wollen wir gut umgehen. Zum einen natürlich, indem wir diese Vergangenheit würdigen, die harte und oft auch gefährliche Arbeit. Aber wir wollen mit diesem Erbe auch in der Form möglichst gut umgehen, dass wir nicht nur nostalgisch zurückblicken, sondern indem wir unsere Zukunft gestalten, und zwar mutig und solidarisch – indem wir anpacken, genauso wie es unserem Erbe entspricht!
Natürlich hängen viele der Probleme, mit denen wir im Ruhrgebiet und damit auch in Gelsenkirchen zu kämpfen haben, mit dem Umbruch in der Wirtschaftsstruktur zusammen. Wenn allein in einer Stadt innerhalb von vier Jahrzehnten 80.000 Industriearbeitsplätze verloren gehen, dann hat das eine enorme Wucht. Zumal es in den Nachbarstädten nicht viel anders aussah.
Wenn man sich diese Zahlen in Erinnerung ruft, dann muss man einfach sagen: Das war ein gewaltiger Wandel, der da zu absolvieren war. Und man muss auch anerkennen: Für diese enormen Dimensionen ist der Wandel sogar bemerkenswert gelungen. Man braucht sich ja nur mal anschauen, wie andere einst von der Schwerindustrie geprägte Regionen heute aussehen. Der Unterschied ist schon deutlich – und er fällt ohne Zweifel zu unseren Gunsten aus.
Aber klar: Natürlich wollen wir mehr als das. Wir wollen mehr, als das etwas lediglich recht glimpflich ausgegangen ist. Jedenfalls ist das mein Anspruch – und das wird auch so bleiben. Natürlich wollen wir nach vorne denken und handeln, natürlich wollen wir eine attraktive Stadt und Region gestalten, wollen wir auf Dauer eine gute Lebensqualität sichern!
Daran arbeiten wir, dafür haben wir schon sehr viel getan in den vergangenen Jahren und auch 2018. Ich will an dieser Stelle nicht zu viel aufzählen, über die einzelnen Schritte finden Sie ja beispielweise in meinen früheren Kolumnen und Reden viele Hinweise.
Aber gerade am Ende eines Jahres, an dem so viel vom „Strukturwandel“ die Rede war, muss ich dann doch an die Erfolge auf dem Gebiet denken, auf dem eine neue Struktur des Arbeitens entsteht – in der digitalen Welt. Wir haben mit dem Ausbau des Glasfasernetzes in Gelsenkirchen eine starke Infrastruktur geschaffen, die so niemand außer uns im Ruhrgebiet hat und nur wenige andere Städte in ganz Deutschland.
Und mehr noch: Wir sind 2018 zur Digitalen Modellkommune des Landes NRW ernannt wurden. Außerdem sind wir Fellow City bei der Digital Cities Challenge der EU-Kommission – als einzige Stadt aus NRW und als eine von nur vier Städten aus Deutschland. Beides sind wichtige Auszeichnungen, die andere Städte ganz sicher auch gerne erhalten hätten. Und die uns bestätigen: Wir sind in Gelsenkirchen auf einem richtig guten Weg!
Ich finde: Das ist gut zu wissen, gerade zum Abschluss eines Jahres, bei dem so oft die Worte „Ende“ und „Abschied“ gefallen sind. Es gibt einen Anfang. Es gibt sogar viele Anfänge. Es liegt an uns, sie aufzugreifen und den Weg weiter fortzusetzen.
Jetzt aber wünsche ich Ihnen erst einmal schöne und erholsame Tage – und einen guten Start ins neue Jahr!
Ihr
Frank Baranowski