18. März 2019, 15:34 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Rede von Oberbürgermeister Frank Baranowski zum städtischen Empfang anlässlich des Internationalen Frauentages
- Es gilt das gesprochene Wort –
Empfang zum Internationalen Frauentag; stadt.bau.raum, 8. März 2019
Meine sehr geehrten Damen,
Ihnen allen ein ganz herzliches Willkommen – zu diesem Empfang der Stadt Gelsenkirchen! Zu einem Empfang, der an diesem Tag, dem 8. März, natürlich nur einen Anlass haben kann, eben diesen: Es ist unser Gelsenkirchener Empfang zum Internationalen Frauentag 2019! Und da ist es natürlich schön, dass Sie mit dabei sind und unsere Einladung angenommen haben
Sie haben die Wahl: So steht es in der Einladung, so haben wir es formuliert, zunächst mit Blick auf den heutigen Abend. Und wir können an der Stelle schon mal festhalten: Bei der Wahl des Abendprogramms haben Sie keine schlechte Entscheidung getroffen. Aber die Formulierung haben wir natürlich auch gewählt mit Blick auf eine nicht unwichtige Wahl, die in diesem Frühjahr ansteht. Wir wollen die Wahl des neuen EU-Parlaments im Mai zum Anlass nehmen, um einmal die Rolle der EU für die Gleichstellungspolitik genauer zu betrachten.
Wir wollen schauen, was die europäische Ebene für die Gleichstellung von Mann und Frau leistet, welche Rolle die verschiedenen EU-Institutionen spielen. Und wir wollen uns mit der Frage beschäftigen, was da jetzt, was bei der Wahl 2019 auf dem Spiel steht. Die Frage drängt sich leider auf, angesichts einer politischen Großwetterlage, die uns allen nur zu gut bekannt ist – und angesichts der Tatsache, dass Rechtspopulisten bei den Europawahlen erfahrungsgemäß oft besser gelingt als anderen Parteien, ihre Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren.
Darum noch einmal etwas pointierter gesagt: Die Institutionen der EU haben sich in den vergangenen Jahren in der Gleichstellungspolitik als recht progressive Größen präsentiert. Können Sie das weiterhin? Oder verändert sich das jetzt?
Sie haben die Wahl – ich greife noch einmal den Satz aus der Einladung auf. Denn wenn man diesen Gedanken ein bisschen nachklingen lässt, dann gibt er uns eine erste Antwort auf viele der eben angerissenen Fragen. Keine bequeme Antwort, aber wohl eine umso realistischere.
Denn es ist ja so: Wenn es um Entscheidungen in einer Demokratie geht, auch um die demnächst anstehenden, dann gilt genau das – wir haben die Wahl, Sie und ich. Dann liegt es an uns, dann liegt es mit an jeder Einzelnen, dann liegt es an dem, was wir tun, wie wir uns entscheiden. Am Wahltag, aber genauso auch im Alltag. Dann liegt es an uns, wie wir unsere Stimme erheben, wann und wie wir uns zu Wort melden für das Thema, das uns wichtig ist, eben auch beim Thema Gleichstellung. Es ist am Ende unsere Wahl, die entscheidet.
Und wenn ich diesen Satz nun noch ein weiteres Mal ausspreche – „Sie haben die Wahl“ –, dann schwingt da am 8. März 2019 natürlich noch etwas mit. Etwas gleichermaßen Historisches wie Tagesaktuelles. Denn genau – da war noch was. Es ist ja erst wenige Wochen her, da gab es ein großes, ein wichtiges Jubiläum. Da wurde der 100. Jahrestag der Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung begangen, der Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung der Weimarer Republik.
Die dort ausgehandelte und beschlossene Verfassung, die gilt, das ist natürlich richtig, schon lange nicht mehr. Aber etwas, was bei dieser Wahl zum ersten Mal möglich war, das ist noch immer möglich – und das ist dann doch sehr wichtig. Darum wurde auch in den zurückliegenden Wochen vielfach an den 19. Januar 1919 erinnert. Und darum haben wir alle es auch noch präsent. Ja, an jenem Tag im Januar 1919 war es, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, da haben Frauen zum ersten Mal in der deutschen Geschichte überhaupt das aktive wie passive Wahlrecht ausüben können. Der 19. Januar 1919 war der Beginn des Wahlrechts von Frauen in Deutschland. Und das war, natürlich, ein epochaler Moment!
100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland: Das ist ein Datum, das zu würdigen ist. Und das noch einmal deutlich macht: Selbst elementarste Rechte – und welches Recht wäre elementarer und wichtiger als dieses, welches Recht wäre wertvoller als das, selbst bei der demokratischen Willensbildung aktiv mitzuwirken? – selbst elementarste Rechte mussten erkämpft werden. Damit dieser Durchbruch überhaupt möglich wurde, brauchte es offenkundig enorme Erschütterungen, einen Weltkrieg und eine Revolution.
100 Jahre ist das nun her, und wenn man nun zurückschaut, dann kann man beides sagen. Man kann wahlweise sagen „schon 100 Jahre“ oder „erst 100 Jahre“. „Erst“ 100 Jahre, weil es natürlich spät war, viel zu spät eigentlich, weil es längst schon früher freie, allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlen hätte geben müssen. Keine Frage.
Aber man kann auch dazu neigen, „schon 100 Jahre“ zu sagen – und zwar wenn man sich vor Augen führt, wie lange nach dem 19. Januar 1919 noch so manche wichtige Veränderungen auf sich hat warten lassen. Dass es beispielsweise nach diesem Tag noch fast 80 Jahre dauerte, nahezu bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts, dass die Vergewaltigung in der Ehe nicht mehr strafbar war.
Das ist, finde ich, in der Rückschau kaum zu begreifen. Dass das erst 1997 so weit war, ist erstaunlich – und zeigt einmal mehr, wie zäh der Fortschritt oft sein kann.
Der Fortschritt kann zäh sein – und selten ist er ungefährdet. Diese Lehre muss man aus den zurückliegenden 100 Jahren ziehen. Genauso kann und muss man aber natürlich auch sagen: Fortschritt ist sehr wohl möglich. Und Fortschritt ist die Folge von gesellschaftlicher Bewegung, von Initiative, Engagement, guten Argumenten. Darum wäre nichts falscher, als wenn wir uns von den aktuellen Bewegungen, die auch in Europa gegen Emanzipation, Selbstbestimmung und Gleichstellung gerichtet sind – wenn wir uns von denen einschüchtern lassen. Dazu gibt es keinen Grund.
Im Gegenteil. Es ist eher ein Grund, selbst aktiv zu werden. Denn am Ende ist es in der Demokratie einfach so: Wir haben die Wahl!
Glück auf!