10. Oktober 2019, 07:00 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Chris Barkhofen und Lisa Behrendt. Bildrechte: Stadt Gelsenkirchen / Caroline Seidel
2011 startete an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen das NRW-Talentscouting, um junge Menschen aus weniger privilegierten Verhältnissen auf ihrem Bildungsweg zu begleiten. Eine Idee, die mittlerweile zu einem landesweiten Programm geworden ist. 17 Fachhochschulen und Universitäten in ganz NRW sind beteiligt, mehr als 17.000 Talente werden bei ihrem Übergang von der Schule in eine Berufsausbildung, ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein (duales) Studium bis in den Job begleitet. Seit diesem Sommer ist als erste Kommune in NRW auch die Stadt Gelsenkirchen dabei und hat eine Mitarbeiterin und einen Mitarbeiter im NRW-Zentrum für Talentförderung als Talentscouts qualifizieren lassen. Lisa Behrendt vom Sozialdienst Schule und Chris Barkhofen vom Referat Personal und Organisation wollen jene Unterstützung bieten, mit denen junge Menschen mehr erreichen können.
Lisa Behrendt: Unser Fokus ist es, besonders engagierten Jugendlichen in Gelsenkirchen die gleichen Bildungschancen zu ermöglichen. Wir möchten Schülerinnen und Schüler beraten und ihnen neue Wege und Möglichkeiten aufzeigen. Zum Beispiel Jugendlichen aus Familien ohne akademische Tradition mit dem Thema Studium vertraut machen.
Chris Barkhofen: Wir gehen dabei ganz ergebnisoffen vor. In welche Richtung es gehen soll, entscheiden die Talente selbst. Wir versuchen zusammen mit ihnen herauszufinden, was ihnen wichtig ist und geben ihnen dann die passenden Informationen an die Hand. Viele Schülerinnen und Schüler wissen zum Beispiel nicht, was eine Stadtverwaltung an Möglichkeiten bietet. Wir können dann die Fragen der Talente beantworten.
Lisa Behrendt: Die Menschen verwechseln Talentscouting oftmals mit Headhunting. Das ist es aber nicht. Wir wollen die Talente nicht an die Stadt binden, sondern die Bildungswege ermöglichen, die für die jungen Menschen in Frage kommen und die sie sich erhofft haben. Wenn sie sich durch unsere Unterstützung für eine Karriere bei der Stadt entscheiden, ist das natürlich schön. Wenn nicht, ist es aber auch völlig in Ordnung.
Chris Barkhofen: Ja, es geht nicht darum zu sagen: Du musst zur Stadt. Das ist alles offen. Wichtig ist auch unser Begriff von Talent. Es geht nicht um diejenigen, die das beste Zeugnis haben, sondern um die Leistung im Kontext. Dazu zählen zum Beispiel soziales bzw. gesellschaftliches Engagement neben der Schule oder Noten, die im jeweiligen Lebenskontext als gut oder sehr gut zu bewerten sind. Das sind für uns Talente. Häufig ahnen die Talente zu Beginn noch gar nicht, welche Potenziale in ihnen schlummern.
Lisa Behrendt: Durch meine Arbeit im Sozialdienst Schule, weiß ich, dass man genau hinschauen und hinhören muss. Wenn mir eine Schülerin oder ein Schüler gemeldet wird, bei dem oder der aufgrund von hohen Fehlzeiten der Abschluss gefährdet ist, kann es dafür viele Gründe geben. In Gesprächen versuche ich dann herauszufinden, worum es eigentlich geht. Das finde ich so schön am Talentscouting:
Es lässt sich so gut mit meiner Arbeit verbinden. Durch die Qualifizierung habe ich zum Beispiel neue Methoden an die Hand bekommen, die ich nun einsetzen kann. Als Multiplikatorin für das Team des Sozialdienst Schule, kann ich diese neuen Methoden an meine Kolleginnen und Kollegen weiter geben, sodass das gesamte Team davon profitieren kann und wir breiter aufgestellt sind.
Chris Barkhofen: Ganz unterschiedliche Dinge. Das fängt bei einer Selbstreflexion der Talentscouts an, indem man sich fragt, was man selbst für einen Bildungsweg gegangen bzw. Bildungsaufstieg gemacht hat. Man merkt dann etwa, dass ohne Netzwerk und eine motivierende individuelle Begleitung viele Schritte gar nicht möglich sind. Außerdem gibt es Gruppenarbeiten, die Erarbeitung von Softskills wie etwa Gesprächsführung und die talentorientierte Haltung, aber auch harte Fakten zu Bedingungen für Bildungsaufstiege und Instrumenten der Talentförderung, wie z. B. Stipendien, Akademien und Auslandsaufenthalte.
Lisa Behrendt: Ganz wichtig ist auch der Kontakt zu anderen Talentscouts. Denn auf ein gutes Netzwerk ist man bei unserer Arbeit immer angewiesen.
Chris Barkhofen: Viele Talentscouts sind schon länger dabei und können Tipps geben, wie man Dinge angeht. Ein funktionierendes Netzwerk ist für mich der Schlüssel zu einem erfolgreichen Talentscouting. Es ist immer vorteilhaft jemand zu kennen, der dem jeweiligen Talent in spezifischen Fragen weiterhelfen kann. Andersrum stehen wir auch als Ansprechpartner für Fragen zur Stadtverwaltung für alle anderen Talentscouts zur Verfügung. Auch die Polizei und das Jobcenter Gelsenkirchen haben Talentscouts ausbilden lassen und sind Teil dieses Netzwerks.
Lisa Behrendt: Umgekehrt steht man den anderen auch als Experte/Expertin zur Seite. Mich haben Talentscouts schon gefragt, ob sie meine Nummer weitergeben dürfen, weil ihre Talente Fragen zum Beruf der Sozialarbeiterin bzw. des Sozialarbeiters haben. Mache ich natürlich gerne.
Lisa Behrendt: Ja, klar. Wir stehen nicht nur Rede und Antwort, wir unterstützen auch konkret. Nicht in dem Sinne, dass wir den Talenten alles abnehmen wie beispielsweise eine Bewerbung zu schreiben, das muss derjenige beziehungsweise diejenige schon selbst machen. Aber wenn jemand mit dem Schüler-Bafög-Antrag nicht zurechtkommt, dann setzt man sich zusammen hin. Oder wenn es um Stresssituationen beim Vorstellungsgespräch geht. Was ist da wichtig? Was ziehe ich an fürs Bewerbungsfoto? Die Devise ist „ich nehme dich an die Hand, laufen musst du aber alleine“.
Chris Barkhofen: Wir werden uns erst einmal genau ansehen, wie wir da ran gehen wollen. Unser Ziel ist auf jeden Fall mehr Präsenz an den Gelsenkirchenern Schulen zu zeigen und als Ansprechpartner für die Talente greifbar zu sein.
Lisa Behrendt: Und wenn man das Ganze erst einmal ins Rollen gebracht hat, muss man schauen, wie wir das Talentscouting ausbauen können. Hilfreich ist es definitiv, dass der Sozialdienst Schule an allen weiterführenden Schulen der Stadt Gelsenkirchen vertreten ist und die jeweiligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch mich Einblicke in die Aufgabe des Talentscoutings erhalten haben und somit auch an ihren Schulen mit einem weiteren und neuen Blick auf die Schülerinnen und Schüler schauen können.
Chris Barkhofen: Ich bin auch gespannt, wie die Nachfrage ist. Das Talentscouting ist ja ein Geben und Nehmen. Nicht nur die Talentscouts tun etwas, die Talente müssen sich auseinandersetzen mit dem, was sie wollen. Ich bin guter Dinge, dass wir da was Gutes auf die Beine stellen können.