Wem gehört die Umwelt – gestern, morgen, übermorgen?
Veranstaltungsreihe im Frühjahr 2020 über die historischen Entwicklungen und aktuellen Perspektiven
28. Februar 2020, 09:53 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Am Dienstag, 3. März 2020, beginnt eine spannende Veranstaltungsreihe, in der verschiedene städtische Institutionen und lokale Akteure die Themen „Umwelt“ und „Klimawandel“ in der Stadt und im Revier in den Blick nehmen und unter historischen ebenso wie zukunftsweisenden Perspektiven zur Diskussion stellen. Die Reihe „Wem gehört die Umwelt – gestern, morgen, übermorgen?“ wird neben Vorträgen, Lesungen und Diskussionsveranstaltungen auch Exkursionen anbieten. Veranstalter sind: Institut für Stadtgeschichte und Kulturraum „die flora“ mit dem Referat Umwelt und der Wirtschaftsförderung der Stadt Gelsenkirchen, dem Heimatbund Gelsenkirchen e. V. und Fridays-for-Future Gelsenkirchen.
Seit etwa 50 Jahren engagieren sich zahlreiche Bürgerinitiativen für saubere Luft oder beklagen den sauren Regen und die sterbenden Wälder. Gerade die Identität des Ruhrgebiets, die auf der Kohle- und Stahlproduktion aufbaute, verhinderte jedoch lange eine allzu kritische Haltung. Und dass das Ruhrgebiet heute so grün ist, hat tatsächlich erst der Strukturwandel ermöglicht. Die Frage danach, wie viele Eingriffe in die Natur verträglich sind, ist aus Sicht der jüngeren Generation schon lange beantwortet: weniger als jetzt – und vielleicht ist es auch schon zu spät. Zumindest medial setzt der Schulstreik der Fridays for Future-Gruppen die Themen Klimawandel und Klimaschutz auf die Tagesordnung. Die jungen Menschen kämpfen um ihre eigene Zukunft.
Auch diese Veranstaltungsreihe ist von der Suche nach einer „Zukunft für Alle“ geleitet, wenn sie in den Vorträgen, Lesungen, Diskussionen und Exkursionen fragt, wem die Umwelt gehören wird. Der Blick in die Geschichte zur Beurteilung von Entwicklungen und Veränderungen ist spannend und anregend.
Stadträtin Annette Berg betont die Bedeutung des differenzierten Angebotes, das – in Weiterführung durch das 2019 auf den Weg gebrachte Gesprächsformat „Gelsenkirchen - lass uns reden“ – zum Gespräch und zum Austausch über drängende Fragen der Gegenwart und zukunftsweisende Perspektiven für die Stadt Gelsenkirchen anregt.
Zwischen dem 3. März und dem 23. Juni 2020 werden folgende neun Veranstaltungen durchgeführt. Soweit nicht anders vermerkt, sind der Eintritt zu den Veranstaltungen und die Teilnahme an den Exkursionen kostenfrei.
Dienstag, 3. März 2020, 19.30 Uhr
„Endlich so wie überall? Entstehung und Wandel von Umweltproblemen im Ruhrgebiet“ – Auftaktveranstaltung mit Prof. Dr. Franz-Josef Brüggemeier (Essen) im Kulturraum „die flora“, Florastraße 26
Bis zum Beginn der Industrialisierung vor etwa 150 Jahren war das Ruhrgebiet eine verschlafene, von der Landwirtschaft geprägte Gegend. Das änderte sich innerhalb weniger Jahrzehnte grundlegend. Hunderttausende strömten in das Gebiet entlang von Ruhr und Emscher, zahllose Fabriken entstanden und mit ihnen wuchernde Städte. Die Landschaft wurde völlig umgekrempelt und massiv belastet durch Emissionen von Industrie, Städten und Haushalten. Deren Schadstoffe belasteten Luft, Wasser und Boden so sehr, dass das Ruhrgebiet zu einem Negativ-Beispiel für Umweltbelastungen wurde. Nennenswerte Verbesserungen setzten erst in den 1960er Jahren ein und zeigten nach und nach große Erfolge. Viele der klassischen Umweltprobleme konnten deutlich reduziert werden, oft durch technische Verfahren. Doch in den vergangenen Jahren sind neue Probleme aufgetreten, die deutlich schwerer zu beheben sind. Technische Verfahren stoßen an ihre Grenzen, und es scheint, dass grundlegende Korrekturen erforderlich sind.
Prof. Dr. Franz-Josef Brüggemeier (Essen) veröffentlichte 1992 die richtungsweisende Publikation „Blauer Himmel über der Ruhr“ und hat seitdem zahlreiche grundlegende Arbeiten zur Umweltthematik vorgelegt. Nach wissenschaftlichen Stationen im Ruhrgebiet und Hannover lehrte er von 1998 bis zur Emeritierung 2018 Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Freiburg.
Dienstag, 17. März 2020, 18 Uhr
„Dicke Luft und Kohlenstaub in Gelsenkirchen – ein fotografischer Rückblick aus dem Stadtarchiv“ mit Dr. Daniel Schmidt (ISG Gelsenkirchen) im Wissenschaftspark Gelsenkirchen, Munscheidstraße 14
Im Ruhrgebiet waren die Menschen an allerlei industrielle Geräusche, Gerüche und Vibrationen gewöhnt. Ein hoher Dauerton in der Luft kam von den Hochöfen, die von Zeit zu Zeit rostroten Qualm und Staub in die Luft abließen. Nachts verfärbte sich der Himmel über den Stahlwerken rot. In schöner Regelmäßigkeit hielten die Menschen ihre Fenster geschlossen und ließen die Wäscheleine im Freien unbenutzt. Die Identität – und die Arbeitsplätze – des Ruhrgebiets, die auf Kohle und Stahlproduktion aufbauten, verhinderten trotz deutlicher Beeinträchtigung lange eine allzu kritische Haltung. Dennoch, ab Anfang der 1960er begannen die Menschen, sich zunehmend für Umweltschutz zu engagieren, vor allem gegen die Verschmutzung von Luft und Wasser zu kämpfen und Staub und Schmutz als Störungen des eigenen Lebensraumes zu verstehen.
Dr. Daniel Schmidt gibt mit seinem Bildervortrag einen Einblick in die Fotosammlung des ISG und erinnert daran, dass frühere Zeiten nicht immer nur rosig, sondern häufig genug auch schwarz und staubig waren.
Dienstag, 7. April 2020, 16.30 Uhr
„Urbane Landwirtschaft in Gelsenkirchen – Exkursion zum Nussbaum-Projekt im Quartier Bochumer Straße“. Neue Wege in der öffentlichen Grünflachentwicklung für ökologische und ökonomische Wertschöpfung (auf städtischen Flächen.)
Treffpunkt: Haupteingang Wissenschaftspark Gelsenkirchen, Munscheidstraße 14
Die Bedingungen des Klimawandels stellen an die Begrünung der städtischen Pflanzflächen ganz neue Herausforderungen. Vor zwei Jahren entschied sich die Stadt Gelsenkirchen mit der Anpflanzung von Nussbäumen daher ganz bewusst dafür, eine robustere Vegetation aufzubauen. Der Walnussbaum ist lediglich anfällig für Spätfrost. Mit der vorausgesagten Klimaerwärmung wird der Baum aber keine Schwierigkeiten haben, denn er liebt die Wärme. Walnussbäume gelten als typische Haus- und Hof-Bäume, ihr Anbau wurde lange zugunsten der schneller wachsenden Obstbäume vernachlässigt. Bald werden sie aber wieder die Gelsenkirchener Kulturlandschaften bereichern. Im Idealfall bringt ein Nussbaum im Quartier Bochumer Straße für die Menschen (und Kleintiere) einen bedeutenden Mehrwert: wer möchte nicht Ückendorfer Nusskuchen probieren!
Bei der Exkursion durch das Quartier Bochumer Straße können die Bäume des Nussbaum-Projekts besucht werden. Die Teilnehmenden erfahren einiges über den Wert von Nüssen als vollwertiges, gesundes und auch klimaschonendes Nahrungsmittel. Interessierte Initiativen können sich zudem darüber informieren, wie sie sich bei der Pflanzung, Betreuung und Bewirtschaftung von weiteren Nussbäumen in den Stadtquartieren einbringen können. Ein Projekt der Wirtschaftsförderung der Stadt Gelsenkirchen im Rahmen der Stadtteilentwicklung.
Dienstag, 21. April 2020, 19.30 Uhr
„Das ‚Hygiene-Institut des Ruhrgebiets‘ im Wandel der Zeiten“, Priv.-Doz. Dr. Georg-J. Tuschewitzki
Ort: Kulturraum „die flora“, Florastraße 26
Das „Hygiene-Institut des Ruhrgebiets“ in Gelsenkirchen spielt für die Umweltgeschichte der Region eine ganz besondere Rolle. Die Gründung des Instituts zu Beginn des 20. Jahrhunderts geht auf Robert Koch zurück, den bedeutenden Mediziner und Biologen, der 1905 den Nobelpreis erhielt. Als im Spätsommer 1901 eine Typhusepidemie in Gelsenkirchen viele Opfer forderte, verlangte Koch sofortige Maßnahmen zur Verbesserung der Trinkwasserversorgung und der Abwasserentsorgung. Bereits im Mai 1902 nahm das neu gegründete Hygiene-Institut unter dem Dach eines unabhängigen Trägervereins seine Arbeit auf. Bis heute ist der „Verein zur Bekämpfung der Volkskrankheiten im Ruhrgebiet e. V.“ Träger des Instituts, das zu den größten und modernsten Institutionen seiner Art in Europa zählt. Schwerpunkte sind Analytik- und Beratungs-Dienstleistungen, Prüfung natürlicher Ressourcen (Wasser, Boden, Luft), Untersuchungen zu Bauschadstoffen und sonstigen Verunreinigungen, Produkttestung vor Markteinführung, um Beeinträchtigungen des Trinkwassers oder der Lebensmittel zu verhindern.
Der langjährige Abteilungsleiter der Trinkwasser- und Badewasserhygiene, Privatdozent Dr. Georg-Joachim Tuschewitzki, stellt die Geschichte des Hauses vor und zeigt auf, wie das Institut mit den Herausforderungen der heutigen Umweltthematik umgeht.
Dienstag, 12. Mai 2020, 19.30 Uhr
„Nachrichten aus dem Dreistromland“. Lesung zum Ballungsraum Ruhrgebiet mit Jürgen Brôcan, Arnold Maxwill und Ralf Thenior im Kulturraum „die flora“, Florastraße 26.
Eintritt: 10 Euro, erm. 8 Euro, Reservierung: (0209) 169 – 9105
Das Ruhrgebiet: ein bedeutender, nicht unproblematischer Ballungsraum. Die drei Dortmunder Autoren betrachten die trotz ihrer Widersprüche schillernde Landschaft zwischen Lippe, Emscher und Ruhr mit individuellem Blick, abseits der Klischees. Kurz hinter Brücken und Brachen, Bahnstrecken und Baulücken machen sich Trampelpfade, Birken und Nachtkerzen bemerkbar – Jürgen Brôcan besucht Gelände im Schwebezustand. Er fragt nach: Was ist natürlich? Was ist künstlich? Was erzählen die Zeichen der Zeit? Spuren von Rückbau und Deindustrialisierung finden sich nahezu überall. Und über allem liegt der Lärm dieser unruhigen Region. Ruhr ist Problemlandschaft, Möglichkeitsraum. Ruhr ist Sammlung von Folgeschäden, aber auch fröhliche Behauptung … – Arnold Maxwill streunt im städtischen Raum umher, vermisst latente und massive Ränder, Lücken, Zeitfenster. Ralf Thenior zieht es nicht nur ins Naturschutzgebiet; das Mitschreiben des Alltags ist ebenso reizvoll – ein Listengedicht der internationalen Sprachen zwischen Mallinckrodtstraße und Borsigplatz; … und nicht zu vergessen: Kleingartenfreude.
Jürgen Brôcan, geb. 1965 in Göttingen, lebt als Schriftsteller, Übersetzer und Literaturkritiker in Dortmund. Arnold Maxwill, geb. 1984 am Niederrhein, lebt und arbeitet ebenfalls in Dortmund, wie auch der „Dichter, Kleingärtner und Nachtbotaniker“ Ralf Thenior, geb. 1945 in Schlesien.
Dienstag, 19. Mai 2020, 18 Uhr
„Verkehrswende im Revier: lokal und regional“
Eine Diskussionsveranstaltung von Fridays-for-Future Gelsenkirchen in Kooperation mit der Stadt Gelsenkirchen im stadt.bau.raum, Boniverstraße 30
Die Verkehrswende ist ein wichtiges Thema: wie können Bürgerinnen und Bürger klimafreundlich und zukunftssicherer pendeln? Welche Rolle spielt der ÖPNV? Lokal und regional steht die Mobilität auf der Tagesordnung: Der Regionalverband Ruhr (RVR) stellt aktuell die Ergebnisse seines 2015 begonnenen Prozesses zur Erarbeitung eines Regionalen Mobilitätsentwicklungsprozesses vor. Der Verkehrsverband Ruhr will mit seiner Ende 2019 auf den Weg gebrachten Bewerbung um Bundesfördermittel Klimaschutz-Modellregion werden. Und die Stadt Gelsenkirchen hat den Prozess zur Erarbeitung eines Masterplans Mobilität, in dem Klimaschutz eine besondere Rolle spielen soll, gestartet. Dies alles sind Themen, die eine spannende Diskussion erwarten lassen, für die Vertreterinnen und Vertreter vom RVR und der Stadt angefragt sind.
Dienstag, 26. Mai 2020, 18 Uhr
„Leben – auf Kosten von was?“ – Prof. Dr. Dirk Messner (UBA, Dessau) im Gespräch mit Fridays-for-Future Gelsenkirchen im Wissenschaftspark Gelsenkirchen, Munscheidstraße 14
Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz ist angesichts der steigenden Schadstoffemissionen wichtiger denn je. Diese Erkenntnis ist mittlerweile bei vielen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Akteuren angekommen. Angesichts der Gefahren des Klimawandels werden inzwischen verstärkt Strategien und Handlungsanleitungen zur Verzögerung der Erderwärmung entwickelt. Das Umdenken setzt sich langsam in Gang. Für die einzelnen Menschen ist eine Veränderung des gewohnten Lebensstils allerdings nicht immer einfach. Denn Umdenken und Veränderung bedeuten Unsicherheit. Die Frage, ob nachhaltiges Leben billiger oder teurer ist, lässt sich nicht so leicht beantworten. Gerade die weniger privilegierten Menschen fürchten sich vor neuer sozialer Ungerechtigkeit. Doch scheint die Frage danach, wie viel Eingriffe in die Natur verträglich sind, ist aus Sicht vieler jüngerer Menschen schon lange beantwortet: weniger als jetzt – und vielleicht ist es auch schon zu spät.
Prof. Dr. Dirk Messner diskutiert an diesem Abend mit Vertreterinnen und Vertretern der Fridays-for-Future Gelsenkirchen darüber, wie schnell und in welche Richtung unsere Gesellschaft gehen muss, um einen für die Menschheit gefährlichen Wandel der Umweltverhältnisse abzuwenden.
Mittwoch, 17. Juni 2020, 19 Uhr
„Die Kehrseite der Medaille. Gelsenkirchen um 1900“. Vortrag von Hans-Joachim Koenen (Heimatbund Gelsenkirchen e. V.) in der Gaststätte „Mythos Görsmeier“, Kurt-Schumacher-Straße 65
In seinen Erinnerungen mahnte schon 1919 Hans Klose, Sohn des einstigen Amtmannes von Schalke Adolf Klose, die drastischen Veränderungen seines Geburtsortes nach 1890 an. Hans Klose kann als einer der Pioniere des Natur- und Heimatschutzes in Deutschland bezeichnet werden. Welche dramatischen Folgen die rasante industrielle Entwicklung in Gelsenkirchen – insbesondere in Schalke – mit sich brachte, zeigen die schockierenden Untersuchungsergebnisse zur Typhus-Epidemie von 1901. Dass von der „guten alten Zeit“ wahrlich nicht die Rede sein kann, schildert der Vortrag von Hans-Joachim Koenen auf eindringliche Weise.
Dienstag, 23. Juni 2020, 17 Uhr
Exkursion in den Industriewald Rheinelbe mit Förster Oliver Balke. Treffpunkt: Zeche Rheinelbe (vor Tagungshotel Lichthof), Leithestraße 37
Unbeachtet rührt sich auf vielen Industriebrachen im Ruhrgebiet neues Leben. Birken bildeten zunächst lichte Haine, bis sie schließlich zu einem Wald aufwuchsen. Es folgten Eichen, Ahorne und Farne. Grünspechte und Kleinspechte nisteten sich ein. Inmitten der Industriebrache der ehemaligen Zeche Rheinelbe, wächst ein Wald wild heran. Totholz, umgestürzte Stämme, Lichtungen, dann wieder weitläufige Flächen mit Licht durchfluteten Pionierwäldern. Der Landesbetrieb Wald und Holz NRW hat es sich zur Aufgabe gemacht, unterschiedliche Programme rund um die Themen Umwelt und Nachhaltigkeit anzubieten, um jungen und älteren Menschen, die sich in der heutigen Zeit immer mehr von der Natur entfremden, den Wald näher zu bringen. Ein Mittelpunkt der waldbezogenen Umweltbildung im Ruhrgebiet ist die „Forststation Rheinelbe", die am Fuß der Halde Rheinelbe inmitten des gleichnamigen Industriewalds liegt.
Bei der Exkursion durch den Industriewald lernen die Teilnehmenden die wohltuende Stille und Kühle des Waldes neu kennen. Von Förster Oliver Balke erfahren sie darüber hinaus etwas über die Strategien der ökologischen Waldwirtschaft im Industriewaldprojekt Ruhrgebiet.