19. Juni 2020, 16:32 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
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„Die Zeit der Denkmäler aus der Vergangenheit scheint ja weltweit derzeit vorbei zu sein, sie werden reihenweise gestürzt. Aber die Zeichen der Zeit scheinen nicht alle verstanden zu haben, einige stellen in diesen Tagen tatsächlich Denkmäler aus der Vergangenheit wieder auf“, fasst Kulturdezernentin Annette Berg die gegenwärtige Lage zusammen, um zugleich ein ganz besonderes kulturelles und erinnerungspolitisches Vorhaben vorzustellen. Denn wenn dies am Samstag im Gelsenkirchener Stadtteil Horst geschehe, dann soll ein begleitendes Online-Videoprojekt vom Referat Kultur der Stadt Gelsenkirchen und dem Institut für Stadtgeschichte zu kritischer Reflexion und Einordnung beitragen.
Zahlreiche bundesweit ausgewiesene Kunst- und Kulturschaffende, Akteurinnen und Akteure der Erinnerungskultur, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Personen des öffentlichen Lebens haben auf Einladung der Stadt Gelsenkirchen in Video und Text kurze persönliche Statements zur Aufstellung einer Lenin-Statue in Deutschland im Jahre 2020 zur Verfügung gestellt. Auf der Website der Stadt und in verschiedenen Social-Media-Kanälen werden diese Statements am Samstag unter dem Hashtag #keinplatzfuerlenin parallel zur Aufstellung des Denkmals veröffentlicht und sollen auf diese Weise zu weiterer Diskussion und zum Austausch von Argumenten anregen.
Von Katrin Budde, der Vorsitzenden des Kulturausschusses des Deutschen Bundestages und Mitglied im Stiftungsrat der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, bis zu Roland Jahn, dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, reicht die Liste der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Prof. Dr. Axel Klausmeier, Direktor der Stiftung Berliner Mauer, ist ebenso dabei wie der Musiker Yurij Gurzhy oder der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch. „Wir sehen unsere Aufgabe auch darin, zu einer gesellschaftlichen Debatte beizutragen und einer Geschichtsrevision entgegenzusteuern, die sich in der kommunistischen Revolutionsromantik äußert und die Verbrechen außer Acht lässt“, so Andrea Lamest, Leiterin des Referates Kultur. „Wir möchten der Öffentlichkeit ein breites und kritisches Meinungsbild präsentieren – über die historische Rolle und den Denkmalwert Lenins ebenso wie über die Bedeutung einer neu errichteten, gleichwohl aber mit kulturellen, historischen und politischen Bezügen aufgeladenen Statue“, so Dr. Daniel Schmidt, Leiter des Instituts für Stadtgeschichte.
OB Baranowski: „Bizarres Monument blinden Personenkultes“
„Dass dieses Denkmal in Gelsenkirchen aufgestellt wird, ist nur schwer zu ertragen. Aber wir müssen nun eben damit umgehen“, machte Oberbürgermeister Frank Baranowski deutlich und erinnerte daran, dass die Stadt Gelsenkirchen alle ihr zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausgeschöpft hat, um die Aufstellung zu verhindern. Letztlich hat das Oberverwaltungsgericht Münster im März 2020 anders entschieden. „Das müssen wir nun hinnehmen. Aber wir werden uns selbstverständlich auch kritisch damit auseinandersetzen als Stadt und als Stadtgesellschaft. Wir halten das geradezu für unsere Pflicht, als aufgeklärtes, demokratisches und pluralistisches Gemeinwesen Angebote für eine solche Auseinandersetzung zu schaffen“, betonte Frank Baranowski.
Neben dem Onlineprojekt #keinplatzfuerlenin gehört zu diesem Angebot auch die Ausstellung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und des Deutschen Historischen Museums „Der Kommunismus in seinem Zeitalter“, die am heutigen Freitag eröffnet wurde und bis zum 31. August 2020 in der Glashalle von Schloss Horst – direkt gegenüber der neu aufgestellten Statue – zu sehen sein wird. Auf mehr als 200 zeithistorischen Fotos, Dokumenten und Schaubildern vermittelt die Ausstellung einen Überblick über 100 Jahre Geschichte des Kommunismus seit der so genannten Oktoberrevolution 1917.
Ausstellungsmacher ist der in Gelsenkirchen aufgewachsene Historiker Gerd Koenen, renommierter Experte für die Geschichte des Kommunismus und Autor verschiedener Bücher zum Thema, unter anderem „Das Rote Jahrzehnt“ (2001) und „Die Farbe Rot“ (2017).
„Es ist wirklich bizarr, nun solch ein Monument blinden Personenkultes in der Stadt zu haben. Welch autoritäres Bedürfnis nach Führerschaft, welche offen eingestandene Unmündigkeit, welch unaufgeklärtes Geschichtsverständnis und welche Rückwärtsgewandheit sich darin zeigen, kann einen wirklich nur staunen lassen“, so Oberbürgermeister Frank Baranowski.