"Pflegen Sie unsere kommunale Demokratie!"
Rede von OB Baranowski bei der letzten von ihm geleiteten Ratssitzung
25. Juni 2020, 12:22 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Manuskript der Rede von Oberbürgermeister Frank Baranowski in der Ratssitzung vom 25. Juni 2020
Meine Damen und Herren,
wir haben nun endlich – nach lebhaften Debatten – eine Tagesordnung für diese Ratssitzung, für diese besondere Ratssitzung. Dass es sich so verhält, dass diese Ratssitzung eine besondere ist, das dürfte uns allen bewusst sein. Das hat mit dem Umfang und dem Inhalt der Tagesordnung zu tun; auch mit der Intensität, mit der sie ausgehandelt wurde. So oft beginnen wir ja nicht um 11 Uhr vormittags, ohne zu wissen, wann die Sitzung enden wird.
Genauso hat es aber auch mit Corona zu tun, mit der coronabedingten Zusammensetzung dieses Plenums und mit den entsprechenden Vorkehrungen, die wir treffen mussten. Und noch ein bisschen mehr hat es mit dem Kalender zu tun, mit der fortgeschrittenen Zeit in dieser Wahlperiode, denn wahrscheinlich wird dies die letzte Ratssitzung vor dem September sein, die letzte Sitzung des 16. Rates der Stadt Gelsenkirchen der Nachkriegszeit. Darum will und kann ich jetzt nicht wie üblich sofort zur Tagesordnung übergehen. Ganz gleich, wie viel Arbeit nun noch auf uns wartet: Ein, zwei Sätze möchte ich zum bevorstehenden Abschluss dieser Wahlperiode noch sagen!
Ich muss das tun, hier und heute, schließlich kandidieren nicht alle von Ihnen wieder. Nicht jedes Mandat, das uns die Gelsenkirchener Bürgerinnen und Bürger übertragen und anvertraut haben, wird bei der anstehenden Kommunalwahl erneuert. Einige Stadtverordnete, die über Jahre und sogar Jahrzehnte in diesem Gremium wichtige Entscheidungen für unsere Stadt debattiert und getroffen haben, werden ihm bald schon nicht mehr angehören. Und vor allem werde nicht ich es sein, der nach der Wahl zu der Ehrung ausgeschiedener Stadtverordneter einladen kann.
Darum möchte ich Ihnen an dieser Stelle meinen Dank und meine Anerkennung ausdrücken. Allen, die seit 2014 und teilweise noch länger als Mitglied im Rat der Stadt Gelsenkirchen tätig waren und die hier, in diesem Gremium, in diesem Saal ihren Dienst für unsere Stadt geleistet haben – und insbesondere jenen, die das im künftigen Rat nicht mehr tun werden – Ihnen allen mein ganz herzliches „Danke schön“ und ein Danke schön, das ich Ihnen im Namen der Gelsenkirchener Bürgerinnen und Bürger ausspreche!
Eine Ratsperiode voller Herausforderungen
Und ein kleines Resümee möchte ich dann auch noch ziehen, denn es ist ja so: Sie alle haben Ihren Dienst und Ihr Ehrenamt in einer sehr bewegten Phase geleistet. In einer Zeit, an die man sich erinnern wird. Nehmen wir allein den zeitlichen Rahmen dieses 16. Rates: Nicht lange nach der Wahl 2014 kam es zu dem, was man „Flüchtlingskrise“ nannte – die Ankunft einer unerwartet großen Zahl an Flüchtlingen nach Deutschland und damit auch nach Gelsenkirchen. Und jetzt, gegen Ende der sechs Jahre, kam eine noch größere Ausnahmesituation. Eine, die jeden von uns betroffen hat und die bekanntlich auch Menschenleben gekostet hat. Auch in dieser Stadt, selbst wenn manche Personen heute so tun, als wäre das alles ganz harmlos gewesen. Es kam Corona.
Erwähnen muss ich in der Rückschau aber auch dies: die Verfehlungen unserer früheren Jugendamtsleitung, den massiven Vertrauensbruch, den Angehörige dieser Stadtverwaltung begangen hatten. Das war aufzuklären und aufzuarbeiten. Und doch bekommt man diesen Vorfall, das muss ich einfach bekennen, so schnell nicht aus dem Kopf. Denn Vertrauen ist einfach ein ganz entscheidendes Gut in unserem Miteinander und jeder Arbeitskultur.
Herausforderungen gab es also, das kann man ohne Übertreibung sagen, in den Jahren seit 2014 mehr als genug. Oft allerdings, und das fällt spätestens in der Rückschau auf, waren das andere Themen als die, die hier im Rat die Debatten bestimmt haben und den Kampf um die Tagesordnung. Seien wir ehrlich: Ganz andere Themen sogar.
Deshalb kann man sich zum Ende dieser Wahlperiode durchaus mal fragen, ob es immer sinnvoll und zielführend war, sich beim Ratsgeschehen so oft und auch mit solcher Intensität auf Auseinandersetzungen um den einen Millimeter mehr Rechthaben und mehr Redezeit einzulassen. Ich jedenfalls frage mich das, und ich will diese Frage auch jetzt mal hier im Saal stehen lassen.
Dank an eine leistungsfähige Verwaltung
Ich will aber auch gerne noch etwas hinzufügen: In der Summe, im Ergebnis – da haben wir in Gelsenkirchen die auf uns von 2014 bis 2020 zukommenden Herausforderungen doch ziemlich gut bewältigt. Fast hätte ich sogar gesagt: Wir haben sie gut gemeistert, aber das wäre wohl ein bisschen zu viel gesagt. Und doch stimmt es: Verstecken müssen wir uns nicht. Denn diese sechs Jahre waren eine Zeit, in der es sehr auf die Leistungsfähigkeit der Kommunen ankam, in der das Funktionieren unseres gesamten Gemeinswesens ganz wesentlich von der Leistungsfähigkeit der Kommunalverwaltungen abhing. Und erfreulicherweise wurde in dieser Zeit auch die Leistungsfähigkeit der Kommunalverwaltungen wieder und wieder unter Beweis gestellt, nicht zuletzt auch in Gelsenkirchen – und das trotz der uns auferlegten jahre- und jahrzehntelangen Sparpolitik. Auch und gerade die Beschäftigten der Stadtverwaltung Gelsenkirchen haben das getan, sie haben eine enorme Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt!
Und deshalb will, ja muss ich heute noch ein zweites Wort des Dankes aussprechen – an den hauptamtlichen Teil der kommunalen Selbstverwaltung, an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung! Meinen sehr herzlichen Dank für Ihre gute Arbeit in diesen Jahren!
Ich persönlich neige dazu – das werden Sie mir sicher nachsehen –, die zurückliegenden sechs Jahre in eine noch etwas längere Linie einzuordnen: in die Jahre seit 2004. Seit jenem Moment, da ich zum ersten Mal eine Ratssitzung in Gelsenkirchen geleitet habe.
Denn auch das gehört mit dem Ende diese Wahlperiode dazu: Es ist ja bekannt, dass ich nicht noch einmal für das Amt des Oberbürgermeisters kandidiere. Dass also die erste Sitzung des neuen Rates folglich nicht mehr von mir eröffnet wird. Künftig wird jemand anderes an diesem Pult sitzen, das wird von der konstituierenden Sitzung des neuen Rates an der Fall sein. Auch dieser Übergang ist inzwischen schon sehr nahe gerückt, und ich gebe gerne zu: Das fühlt sich schon ein bisschen merkwürdig an.
Es fühlt sich merkwürdig an, zugleich ist es aber auf seine Art auch folgerichtig – denn das Jahr 2004 ist uns heute doch schon sehr fern. Die Welt hat sich seither deutlich verändert, sie hat sich spürbar weitergedreht, seit jenem Jahr, in dem die meisten von uns zwar ein Mobiltelefon hatten, aber keines das „smart“ war, als noch niemand seinen Social-Media-Account pflegte, als es zwar Pandemien gab, aber nicht solche, von denen man sich selbst bedroht sah.
Wo wir herkommen: Wirtschaft und Beschäftigung
Die Welt hat sich verändert seit 2004 – und auch unser Gelsenkirchen. Denn wie war denn die Lage in Gelsenkirchen 2004, in jenem heute so fernen Jahr?
Nun, zunächst einmal: Wir hatten eine Arbeitslosenquote von über 25 Prozent. Das war es, was die Stadt und das Lebensgefühl in unserer Stadt vor allem prägte. Das war eine enorme Zahl, eine gewaltige Quote, die den ganzen Schmerz des Strukturwandels zum Ausdruck brachte.
Diese Zahl ist kaum mehr vorstellbar heute, denn inzwischen haben wir diese Quote auf etwa 12,5 Prozent gedrückt – so war es zumindest vor Corona. Wir haben sie halbiert in diesen Jahren, wir haben Prozentpunkt um Prozentpunkt abgetragen, Schritt für Schritt. Und das war ein langer Weg. Dafür mussten in Gelsenkirchen über 10.000 neue, zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen werden. Aber dafür sind dann auch über 10.000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Jahr für Jahr kamen bis zu 1.000 zusätzliche Stellen hinzu, der Beschäftigungsumfang wurde erheblich ausgeweitet. Eine echte Leistung und der Lohn einer geduldigen, seriösen städtischen Wirtschaftspolitik.
Nun kann man natürlich sagen: Das reicht doch nicht, es hätte noch viel mehr sein müssen! So, als ob man nur mal eben mit den Finger schnippen müsste, um dieses Mehr hervorzuzaubern, als ob es bloß eine Frage des Wollens wäre!
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch ich bin der Auffassung, dass diese Quote noch ein gutes Stück niedriger sein sollte. Keine Frage. Aber die Wahrheit ist eben auch: Es gibt da keine Automatismen. Und mit den Möglichkeiten, die wir als Kommune haben, mit der Unterstützung, die wir bekommen oder eben auch nicht bekommen haben, mit den faktischen Grenzen und Einschränkungen unserer Handlungsmöglichkeiten, da waren oder sind – und das ist eine bittere Wahrheit, die man anerkennen muss – da waren oder sind wir schon nahe am Optimum.
Dass wir uns damit nicht zufrieden geben wollen und können, das ist klar. Heute nicht und morgen hoffentlich auch nicht. Das ist eine Haltung, die unsere Stadt auch in Zukunft brauchen wird: Dass wir nicht zu schnell zufrieden sind. Denn es ist ja so: Gelsenkirchen kann noch mehr, noch viel mehr! Und darum ist es gut, dass wir in den vergangenen 16 Jahren den Grundstein dafür gelegt haben, dass wir ein soldides Fundament errichtet haben!
Das Stadtbild 2004 und 2020
Darum die nächste Frage: Wie sah es denn aus, das Gelsenkirchen des Jahres 2004?
Es sah so aus, dass ich meine erste Ratssitzung nicht an einem so schönen, repräsentativen Ort wie diesem Ratssaal geleitet habe, sondern in einem stickigen Raum an der Emscherstraße. Das Hans-Sachs-Haus bestand aus ein bisschen Fassade und vielen Baugerüsten, eigentlich war es eine Ruine. Und vor dem Hans-Sachs-Haus befand sich ein Platz, der eigentlich auch kein richtiger Platz war. Nach Feierabend jedenfalls wäre da kaum jemand freiwilllig hingegangen. Schon gar nicht, um Bekannte zu treffen und gemeinsam ein Glas zu trinken.
Dass 2004 auf der Ebertstraße Kinder gespielt hätten, auf wirklich schönen, neuen Spielplätzen – daran kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Keine Frage: Die City sah völlig anders aus vor 16 Jahren. Der Vorher-Nachher-Effekt ist, das muss man einfach sagen, enorm.
Und dabei ist das nicht nur hier in der City so. In Buer gab es eine ganz ähnliche Entwicklung mit der Kulturmeile, mit der Domplatte, dem Robinienhof, dem Lindenkarree. Und dabei haben wir nicht nur unsere Zentren gestärkt, sondern auch die Stadtteile, denn dazu kommen noch die ganzen Stadterneuerungsgebiete, von Nord nach Süd, von Hassel bis Rotthausen. Nirgendwo sonst lebt ein so großer Anteil der Stadtbevölkerung in Stadterneuerungsgebieten wie bei uns! Und dann habe ich die Entwicklung von Graf Bismarck noch gar nicht aufgeführt, einem Musterbeispiel für Strukturwandel, vom Stadtteilpark Hassel und dem Park auf dem Hugo-Gelände, vom Waldbogen, vom Wohnen an Schloß Horst – um nur ein paar prominente Flächen zu nennen.
Bildung, Digitalisierung und ein eigenes Profil
Und wenn wir zurückblicken, dann muss man auch einräumen: Die Themen, die uns und mich 2004 zuerst einmal beschäftigten, waren keine besonders visionären. Denn da standen ja erst einmal Aufräumarbeiten an wie das unselige Cross-Border-Leasing, ein Großmarkt, den niemand brauchte, die Galopp-Rennbahn.
Erst nach und nach konnten wir in die Zukunft wirken, konnten mit zielstrebiger Arbeit und Mut einen Neuanfang auf die Schiene setzen, uns ein eigenes Profil schaffen, das Gelsenkirchen von anderen Städten abhob, positiv abhob – und das geschah zuerst im Bereich der frühen Bildung, der kommunalen Bildungspolitik. Gelsenkirchen wurde dank innovativer Angebote für junge Familien zur Modellkommune der frühen Bildung. Dazu kam aber auch ein massiver Ausbau unserer Bildungsangebote. Nehmen wir nur den Offenen Ganztag: 2004 gab es lediglich an einer Grundschule in Gelsenkirchen ein solches Angebot – heute haben wir das an allen 39 Gelsenkirchener Grundschulen! Die Zahl der OGS-Plätze stieg von 50 auf über 3.250!
Der Ausbau der U-3-Betreuung und damit des gesamten Kita-Angebotes war ähnlich massiv: Von unter 7.000 Plätzen gestartet kommen wir nun im neuen Kita-Jahr auf 9.500. Wir haben im vergangenen Jahrzehnt 14 neue Kitas errichtet, 17 durch Anbauten erweitert, andere durch Dependancen ergänzt. Und wir kümmern uns intensiv um unsere Schulen und haben jede einzelne Schule an das Glasfasernetz angeschlossen. Das kann kaum eine andere Stadt von sich sagen, und das führt zum nächsten Punkt – denn Modellkommune der Digitalisierung sind wir ja auch.
Gutes Zusammenleben, Sicherheit und Ordnung
Nicht zuletzt will ich auch das erwähnen: Wir haben seit 2004 an zahllosen Stellen etwas für das Zusammenleben der Gelsenkirchener getan und soziale Initiativen, Verbände, Vereine und Bürger unterstützt. Wir waren da immer ein verlässlicher Partner – auch das war und ist mir wichtig!
Zudem haben wir von städtischer Seite aus verstärkt auf das Einhalten von Regeln geachtet. Wir arbeiten eng mit der Polizei zusammen und haben Präventionsräte gegründet. Und vor allem haben wir den Kommunalen Ordnungsdienst ins Leben gerufen, anfangs mit einem sehr kleinen Team. Bald werden es 50 städtische Beschäftigte sein, die von kommunaler Seite für Sicherheit und Ordnung sorgen!
Und da wir nun beim guten Zusammenleben sind, beim Miteinander der Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener, muss ich doch noch ein paar Sätze sagen zum Miteinander der Gelsenkirchener Mandatsträgerinnen und Mandatsträger hier im Rat. Ich möchte auf einen Punkt kommen, der nichts mit Leistungen zu tun hat, die wir erbracht haben, mit Ergebnissen, die wir erzielt haben – sondern mit dem Umgang, den wir in diesem Gremium miteinander pflegen und gepflegt haben.
Der Umgang miteinander im Rat
Dieser Umgang, der war – zu einem anderen Resümee kann ich leider nicht kommen – der war leider nicht immer so, wie ich mir das gewünscht habe. Ich habe das mehrfach angesprochen; heute ist nun die letzte Gelegenheit für mich, das noch einmal zu kommentieren.
Als ich Oberbürgermeister wurde, 2004, war es mir ein Anliegen, hier mit daran zu wirken, dass wir ein Arbeitsklima entwickeln, dass sich deutlich von dem unterscheidet, das ich als junger Stadtverordneter noch in den 1980er- und 90er-Jahren kennengelernt habe. Ich meine dieses Lagerdenken, diese Stimmung des Entweder-Oder, des Dafür- und-Dagegens, des Wir-und-Die, mit all der Härte, die dazu gehörte. Das war nicht schön, und das war vor allem auch nicht produktiv.
Darum war es mir ein echtes Anliegen, das zu überwinden. Ihnen, dem gewählten Rat den Respekt entgegenzubringen, den ich vorher beispielsweise im Landtag als Abgeordneter gespürt habe – in der Hoffnung, damit einen Beitrag zu einem besseren Ganzen leisten zu können.
Eine Zeitlang hatte ich den Eindruck, dass auch das gelingen kann. Dass sich so etwas wie ein neuer Gelsenkirchener Weg herausbildet. Mein Eindruck war: Wir kommen ganz gut voran auf diesem neuen Gelsenkirchener Weg, mit einer guten, kritischen Zusammenarbeit über Fraktionsgrenzen hinweg. Gerne erinnere ich mich dabei an gute, produktive Gespräche mit dem damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Gerd Schulte.
Irgendwann aber, das muss ich einräumen, wurde dieser Eindruck schwächer. Und irgendwann dominierte bei mir auch das Gefühl, dass zu viele Kräfte in eine andere Richtung ziehen und etwas anderes wollen. Dass viele an diesem Ort lieber Parlament spielen wollen: Rede-und-scharfe-Gegenrede, so wie es im britischen Unterhaus üblich ist – ganz ungeachtet dessen, dass sich dieses Modell in Großbritannien nicht gerade bewährt, jedenfalls nicht in den Wochen und Monaten des Brexits. Und ungeachtet dessen, dass das einfach nicht zur kommunalen Selbstverwaltung passt. Ich will ehrlich sein: Das habe ich schon sehr bedauert!
Gleiches gilt für das Verhältnis von Politik und Verwaltung. Auch hier wurde der Ton zunehmend rauer und schärfer. Auch das passt aus meiner Sicht nicht recht ins Bild – sind doch Politik und Verwaltung zwei Seiten derselben Medaille, sie gehören zusammen. Wir sind gemeinsam die öffentliche Verwaltung, wir sind gemeinsam diejenigen, die die kommunale Selbstverwaltung ausüben und die Demokratie vor Ort gestalten! Und darum sollten auch hier der Ton und Umgang miteinander respektvoll und konstruktiv sein!
Ein Appell für die Zukunft
Nun ist dies die wohl letzte Sitzung des 16. Rates unserer Stadt – bald wird sich der 17. Rat konstituieren. Dann werden neue Stadtverordnete mit dabei sein, dann wird sich das Zusammenspiel in diesem Gremium ändern und damit vermutlich auch die Atmosphäre. Und natürlich ist es so, dass Veränderungen in sich immer auch eine Chance bergen. Selbst wenn man sie auf den ersten Blick noch nicht sehen mag.
Den Ratsmitgliedern, die bleiben, die auch dem neuen Rat angehören werden, denen möchte ich darum gerne eine Bitte mit auf den Weg geben: Nutzen Sie die Chance, die sich dann bietet! Nutzen Sie diese Chance, und denken Sie an Ihre Verantwortung!
Denn die Verantwortung, die Ihnen übertragen, die Ihnen anvertraut wurde, die besteht ja nicht darin, lauter zu sein als andere, hartnäckiger oder konfrontativer. Sie besteht nicht darin, immer mehr zu fordern als die anderen, ganz gleich wie realistisch oder besser: wie unrealistisch es auch sein mag. Sie besteht sicher auch nicht darin, alleine Recht zu haben. Oder es diesem oder jenem mal gezeigt zu haben.
Nein, die Verantwortung aller, die diesem Gremium angehören, ist eine andere. Wer in den Rat der Stadt Gelsenkirchen gewählt wird, hat ein Mandat der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt – aller Bürgerinnen und Bürger. Er ist kein Vertreter, keine Vertreterin von Einzelinteressen. Weder der des eigenen Ortsvereins noch einer anderen Interessengruppe. Dies ist auch nicht das Gremium, um sein Ego zu befriedigen oder Vergangenheitsbewältigung zu betreiben.
Ihre Verantwortung ist Teil einer gemeinsamen Verantwortung, einer Verantwortung, die von allen Mitgliedern dieses Rates gemeinsam getragen wird.
Zu dieser gemeinsamen Verantwortung gehört es, dass um gute Lösungen gerungen werden muss, dass verschiedene Vorschläge vorgetragen, geprüft und abgewogen werden – und ja, natürlich gehört zu dieser Verantwortung auch, dass gestritten wird!
Dass aber, und das ist entscheidend, dass im Sinne der Sache gestritten wird. Nicht um des Streites willen!
Und da wir nun eben keine Vertreter von Einzelinteressen sind, haben wir in diesem Gremium auch die Aufgabe, einen Konsens zu suchen, eine Lösung, die nicht nur einer Seite gerecht wird.
Für diese Suche nach einem Konsens muss es Grenzen geben, keine Frage. Politische Entscheidungen müssen mehr wollen, als bloß irgendwie alle Interessengruppen zu befrieden. Und ein Konsens ist auch da nicht möglich, das sage ich ausdrücklich, wo man es mit Menschen und Gruppierungen zu tun hat, die sich gegen unsere Verfassung wenden oder die erkennbar gegen Menschen hetzen. Diese Grenze muss allen demokratischen Stadtverordneten auch in Zukunft bewusst sein!
Unsere wehrhafte Demokratie braucht eine wehrhafte lokale Demokratie, sie braucht einen wehrhaften Rat. Aber sie braucht eben auch einen Sinn für den richtigen, für den nötigen Konsens. Jeder von uns darf und sollte sich darum fragen, inwieweit er dieser Verantwortung gerecht wird – nicht zu spalten, sondern zusammenzuführen, an das Ganze zu denken, auch über die verschiedenen Hintergründe, Herkünfte, Haltungen hinweg.
Wer ein Gespür für unsere Gesellschaft hat und für unsere Demokratie, für die Bedrohung, denen diese Demokratie gerade jetzt und wohl auch in den kommenden Jahren ausgesetzt ist, durch die Fragmentierung der Öffentlichkeit, durch einen harten, oft skrupellosen Populismus, dessen Schamlosigkeit wir leider ständig vorgeführt bekommen, – wer all das vor Augen hat, der weiß, dass das Miteinander-Reden in Zukunft noch ein bisschen wichtiger sein wird als heute und in der Vergangenheit!
In der Ratsarbeit war das Miteinander-Reden, das Sich-Ernsthaft-Austauschen, das Einander-Zuhören, die gemeinsame Suche nach einem tragfähigen Konsens, schon immer wichtig. Künftig wird es vermutlich noch wichtiger sein. Und darum sage ich, auch wenn ich in Person nicht mehr dabei bin: Es würde mich als Gelsenkirchener Bürger, der ich ja bleiben werde, sehr freuen, wenn das konstruktive Miteinander künftig an diesem Ort wieder stärker praktiziert und beherzigt wird! Wenn Umgangsformen gepflegt werden, die von gegenseitigem Respekt gekennzeichnet sind.
Pflegen Sie diese lokale Demokratie. Wir haben nur diese Eine.