26. Oktober 2020, 12:33 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Kolumne von Oberbürgermeister Frank Baranowski
Liebe Gelsenkirchenerinnen,
liebe Gelsenkirchener!
Sie kennen das: Ein Jahr kann sich ganz schön lang anfühlen. Es kann aber auch gefühlt im Handumdrehen vorübergehen. Was den Unterschied macht? Vermutlich vor allem unsere Einstellung. Beim Entschluss, nicht mehr für das Amt des Oberbürgermeisters zu kandidieren, war meine Einstellung eindeutig: Ich bin noch mehr als ein Jahr im Amt – das ist noch ein ganzes Stück! Heute sehe ich es eher so: Das Jahr ist dahingeflogen, coronabedingt leider anders, als ich mir das vorgestellt hatte. Und jetzt ist es tatsächlich vorbei.
Ja, es ist Zeit, „Auf Wiedersehen!“ zu sagen. Meine Amtszeit als Oberbürgermeister meiner Heimatstadt endet nun, am 31. Oktober 2020, nach insgesamt 16 Jahren und drei Amtszeiten.
Leicht, das muss ich ehrlich sagen, fällt mir der Abschied nicht. Es ist auch merkwürdig, diese Kolumne zu schreiben, denn die OB-Kolumne hat mich über etliche Jahre durch das Amt begleitet – und das ist jetzt die letzte von so vielen.
Aber dass dieser Abschied schwer fällt, ist auf seine Art auch ganz gut. Schließlich wollte ich immer, dass mehr Menschen „Schade!“ sagen als „Endlich!“, wenn ich aufhöre. Und wenn mir der Abschied allzu leicht fallen würde, hätte ich auch etwas falsch gemacht. Dann wäre ich nicht mit ganzem Herzen dabei gewesen. Sie dürfen sich sicher sein: So war es nicht. Zu keinem Zeitpunkt.
Natürlich hätte ich mir das letzte, das abschließende Jahr anders gewünscht. All die Jahre habe ich es ja als meine Aufgabe verstanden, mit dafür zu sorgen, dass Menschen zueinander kommen, dass es Begegnungen gibt in unserer Stadt, Feste, Austausch, gegenseitige Hilfe. Bedingt durch die Pandemie mussten wir seit März stattdessen darauf achten, dass der räumliche Abstand zwischen den Menschen groß genug war, Feste und andere Zusammenkünfte mussten abgesagt werden. Das war so ziemlich das Gegenteil von dem, was ich gerne möchte. Dass für viele von uns und auch für mich viele wichtige Begegnungen im letzten Halbjahr weggefallen sind, dass dieses Jahr eine andere Art der Amtsführung verlangt hat – das habe ich sehr bedauert.
Was aber bis zum Schluss unverändert war: Es war für mich etwas wirklich Besonderes, Oberbürgermeister dieser Stadt zu sein, Gelsenkirchen nach außen zu vertreten, wichtige Entscheidungen für die Menschen dieser Stadt vorzubereiten und zu treffen. Warum? Weil Gelsenkirchen eine Stadt ist, die es verdient hat, dass man sich für sie einsetzt. Weil hier unzählige wunderbare Menschen Tag für Tag mit anpacken, füreinander da sind, sich engagieren, etwas dafür tun, damit man hier gut leben kann. Und natürlich auch, weil es eine so spannende Aufgabe ist. Weil so manches nicht einfach ist in Gelsenkirchen – und weil einfach bekanntlich jeder kann.
Jetzt, zum Ausklang der 16 Jahren, liegt die Versuchung nahe, Bilanz zu ziehen. Natürlich beschäftigt mich die Frage: Was bleibt? Aber was die Bilanz angeht, finde ich: Das sollen ruhig andere machen. Ein paar Dinge haben wir in den vergangenen 16 Jahren bewerkstelligt, da habe ich keine Angst vor einem Blick von außen, auch wenn ich weiß, dass die Erwartungen an das, was ein OB so bewirken kann, nicht immer von Realismus geprägt sind.
Wir haben beispielsweise die Arbeitslosigkeit – zu Beginn der Corona-Pandemie – von exorbitanten 25 Prozent aus kommend halbiert, wir haben das Gesicht unserer Innenstädte deutlich verändert, ich denke nur an das Hans-Sachs-Haus, die Domplatte, den Heinrich-König-Platz. Wir haben heute Innenstädte, in denen sich die Menschen wieder gerne treffen. Dazu wurden die Angebote für Kinder und Jugendliche, junge Familien und älter werdende Menschen nicht nur ausgebaut, sondern teilweise sogar vervielfacht – gerade was gute Beratungsangebote angeht, die U-3-Betreuung, den Offenen Ganztag.
All das ist gelungen, obwohl wir mit erheblichen Gegenkräften zu kämpfen hatten. Da war gerade in den Jahren nach 2004 die uns auferlegte Sparpolitik, da waren natürlich die massiven Folgen des Strukturwandels, da sind die neuen Herausforderungen wie zum Beispiel die Armutszuwanderung, bei der wir viel zu wenig Unterstützung aus Düsseldorf, Berlin und Brüssel bekommen. Und da ist nun natürlich Corona.
Keine Frage: Wir haben vieles gemeinsam geleistet, und doch steht unsere Stadt weiter vor echten Herausforderungen und spannenden Aufgaben. An dieser Stelle werde ich, keine Sorge, keine Ratschläge an meine Nachfolgerin aussprechen. Karin Welge wird ihren Weg finden, da bin ich mir ganz sicher. Sie hat unser Vertrauen verdient. Und unabhängig von parteipolitischen Präferenzen darf man auch das sagen: Wer zuvor Gesundheits- und Sozialdezernentin war, Kämmerin und Stadtdirektorin, ist bestens auf dieses Amt vorbereitet. Das Amt, das ich so lange als „meines“ bezeichnet habe, ist bei ihr sicher in guten Händen!
Aber auch ohne Amt gilt: Ich bleibe weiter Gelsenkirchener und werde mich auch künftig in meiner, in unserer Stadt hier und da einbringen. Und darum will ich an Sie appellieren: Bleiben auch Sie unserer Stadt gewogen! Kümmern Sie sich um sie. Sie hat es verdient.
Und was fast noch wichtiger ist: Kümmern wir uns weiter um unsere Demokratie! Wir alle spüren es, dass sie in diesen Tagen angefochten wird. Sie wird gefährdet durch Rechtspopulismus, durch Fake News, durch mangelnden Respekt vor demokratischen Prinzipien und Verfahren. Aber vergessen wir nicht: Unsere Demokratie wird nicht in erster Linie durch Extremismus bedroht. Wirklich gefährlich kann für sie nur unser Desinteresse werden. Wenn wir unsere Demokratie leben, sie pflegen, in Acht nehmen und beschützen, dann haben Extremisten und Anti-Demokraten keine Chance!
Es kommt also weiter auf uns an, auf Sie und mich!
Ihr
Frank Baranowski