Oberbürgermeisterin Karin Welge zum Haushaltsplanentwurf 2021
Rede vor dem Rat der Stadt Gelsenkirchen am 17. Dezember / es gilt das gesprochene Wort
17. Dezember 2020, 15:53 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Bildrechte: Stadt Gelsenkirchen
Meine sehr geehrten Damen und Herrn Stadtverordnete,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
trotz Pandemie und des auch durch Ihre Kooperation reduzierten Rates – es geht doch mit unverminderter Schlagzahl weiter, Schritt für Schritt. In der ersten Sitzung haben wir die Arbeitsfähigkeit des Rates hergestellt, in der zweiten die Ausschüsse und weiteren Gremien gebildet. Und heute, eine Woche vor Heiligabend, nehmen wir die finanzielle Basis unserer Stadt für das Jahr 2021 in den Blick. Starten wir also in das neue Haushalts-Verfahren!
Gleich zum Einstieg muss ich Ihnen bestätigen, was Sie längst ahnen: Ja, der Haushalt 2021 wird ein außergewöhnlicher sein! Obwohl wir in Gelsenkirchen Erfahrung mit besonderen Haushaltslagen haben, mit dem, was Strukturwandel und strukturelle Unterfinanzierung der kommunalen Haushalte anrichten können, geht die aktuelle Situation noch einmal ein gutes Stück über unseren Erfahrungsschatz hinaus.
Wir reden über einen Haushalt, wie ich ihn in meinen Jahren als Kämmerin nie eingebracht habe, oder besser gesagt: Nie einbringen musste. Ein Haushalt mit mehr Variablen als in den Jahren zuvor, mit einigen großen Unbekannten – und der, das kommt noch dazu, sehr zügig zu beraten und beschließen ist.
Dass uns wenig Zeit bleibt, ist eine Folge des Wahltermins vom September. Das Gedankenspiel, aufgrund des Zeitdrucks bereits 2019 einen Doppelhaushalt für 2020/2021 aufzustellen, ist verworfen worden. Zu Recht, denn es ist einfach so: Das Jahr 2021 fällt voll und ganz in die Verantwortung des neuen Rates. Dies, meine Damen und Herren, ist unsere Verantwortung, die müssen wir wahrnehmen und das tun wir jetzt auch!
Praktisch heißt das aber natürlich: Wir müssen uns sputen. Wir müssen bis März zum Abschluss kommen. Wir müssen auf den Punkt und zielgerichtet diskutieren.
Wir haben also ein sportliches Programm vor uns, und dazu passt es dann vielleicht auch, dass wir diesen Haushaltsplan nicht wie gewohnt im Ratssaal einbringen. Sondern hier, an einem für Haushaltspolitik sehr untypischen Ort. An einem Ort des Sports.
Mein Vorschlag dazu lautet deshalb: Lassen wir uns davon inspirieren! Beweisen wir Sportsgeist, und vergessen wir nicht, dass sich unser Einsatz lohnen wird – denn dies ist eben auch der Auftakt zu einem Stück Zukunft, zu einem neuen Kapitel Gelsenkirchen! Zu einem neuen Kapitel, das wir jetzt aufschlagen, das wir gemeinsam gestalten und für das wir gemeinsam die Verantwortung tragen!
Eine Stadtverwaltung, die Verantwortung trägt
Und wenn ich „Verantwortung“ sage, unsere gemeinsame Verantwortung in der kommunalen Selbstverwaltung, dann geht es mir nicht einfach um ein wohlklingendes Schlagwort. Nein, dann geht es um etwas sehr Konkretes. Dann geht es mir nämlich um genau das, was die Stadtverwaltung Gelsenkirchen leistet, gerade jetzt, in diesem Moment, an so vielen verschiedenen Stellen. Welche Aufgaben sie erfüllen muss und auch erfüllt. Unter welchen Bedingungen.
Beim Stichwort „Verantwortung“ denke ich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Gesundheitsamtes, auf deren Expertise seit März so viele Menschen schauen, mit gespannter Erwartung, Sorge und Hoffnung. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Hygienekonzepte bewerten und verbessern, die Menschenleben schützen, die die Nachverfolgung der Corona-Kontakte leisten, eine von Anfang an aufwändige Aufgabe, die inzwischen nochmals komplizierter geworden ist – und wo der Alltag längst schon so aussieht, dass für jeden bearbeiteten Fall direkt zwei oder mehr neue auf den Schreibtisch nachkommen.
Ich denke bei „Verantwortung“ an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den städtischen Seniorenheimen, die mit maximaler Sorgfalt arbeiten, die sich für das eigene Leben eine enorme Selbstdisziplin auferlegen und oft jenseits der Belastungsgrenze arbeiten – für die Gelsenkirchener Seniorinnen und Senioren. Und das, obwohl inzwischen keiner mehr am Fenster für sie applaudiert.
Ich denke an die städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in kürzester Zeit ein Impfzentrum auf die Beine stellen, ein Großprojekt, das vor wenigen Wochen niemand auf dem Zettel hatte und das jetzt gelingen muss. Und ich denke genauso an die, die diese Ratssitzungen, wie auch schon die am 3. Dezember möglich machen – auch das ist nicht wenig Arbeit.
Ich denke an die Kitas und Schulen, die in der Pandemie ihr Angebot hochgehalten haben, obwohl viele Kolleginnen und Kollegen mit Vorerkrankungen nicht mithelfen können und darum seit Monaten mehr Arbeit auf weniger Schultern lastet. Ich denke an die Feuerwehr, die nach jeder einzelnen Rettungsfahrt mit noch mehr Aufwand desinfizieren muss; an den Kommunalen Ordnungsdienst, der die Einhaltung der neuen Schutzverordnungen kontrolliert und dabei nicht immer auf Verständnis stößt. Ich denke an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den BürgerCentern, die Tag für Tag Menschen gegenübersitzen, während sich so viele andere jetzt ins Home-Office zurückziehen können.
All das zählt in Zeiten einer Pandemie zu unserer Verantwortung. Und weil das so ist, weil es so viel ist, was da geleistet wird, und weil es so wichtig ist, was da geleistet wird, weil es jetzt wieder einmal so sehr es auf die städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ankommt, muss und will ich ihnen an dieser Stelle nochmals ein herzliches „Danke schön!“ aussprechen!
Ja, meine Damen und Herren: All das muss geleistet werden – 2020 wie auch 2021. Und wenn wir jetzt über den Haushalt sprechen, dann geht es genau darum: Dass all das auch 2021 gewährleistet werden kann – und die heute noch nicht fest geplanten, aber dann anfallenden Aufgaben ebenfalls! Und nun liegt es an uns, die Leitplanken so aufzustellen, dass diese Arbeit so gut wie möglich geleistet werden kann!
Es kommt, um es anders zu sagen, bei diesem Haushalt darum an erster Stelle auf Verlässlichkeit an. Auf einen stabilen Rahmen, den wir schaffen müssen. Für die städtischen Kräfte, aber auch für die Gelsenkirchener Unternehmen und Verbände, für die Vereine und Initiativen, die Bürgerinnen und Bürger. Im zweiten Corona-Jahr, in dem es weiterhin viel Unsicherheit geben wird, da wollen und müssen wir vor allem eines bieten: Sicherheit.
Ein Haushalt mit vielen Unbekannten
Das ist keine Selbstverständlichkeit, vor allem nicht, wenn man sich die fiskalische Seite betrachtet. Die Einnahmeausfälle sind massiv. Um es einmal ganz deutlich zu machen: Für das Haushaltsjahr 2020 hatten wir Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von etwa 110 Millionen angesetzt. Am Ende des Jahres werden wir es vermutlich ungefähr 30 Millionen sein. Nicht einmal ein Drittel. Angesichts der aktuellen Infektionszahlen und den weiteren, verschärften Lock-Down werden Sie eine Idee haben, wie 2021 aussehen könnte.
Dass wir für die fehlenden Gewerbesteuer-Einnahmen einen Ausgleich bekommen von Land und Bund, und zwar einen – das will ich gerne anerkennen – mehr als ordentlichen Ausgleich, einen, der einmal sogar mal etwas über den Durst geht – das ist natürlich zu begrüßen. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Für das kommende Haushaltsjahr sagt das allerdings noch nicht viel aus.
Es bleibt dabei, auch nach der erfreulichen Nachricht aus Düsseldorf in der vergangenen Woche: Es gibt eine ganze Reihe an Unbekannten in diesem Haushalt. Dass es der Kämmerei dennoch gelungen ist, mit wenig festen Anhaltspunkten einen stimmigen Haushalt auf die Beine zu stellen, ist eine beachtliche Leistung, für die ich an dieser Stelle ebenfalls sehr danken will!
Ich sage „Danke!“ für die Haushaltsaufstellung und auch für das Kalkulieren der Corona-bedingten Schäden, die ja über einen Zeitraum von 50 Jahren ausgegliedert und abgeschrieben werden können. Luidger Wolterhoff wird gleich noch einiges mehr dazu sagen. Das Ausgliedern dieser Schäden macht uns 2021 handlungsfähig, was elementar wichtig ist. Aber dass das keine systematische und nachhaltige Lösung ist, versteht sich von selbst. Es wird noch viel zu tun sein, um zu einer tragfähigen, neuen Finanzstruktur zu gelangen!
Wir werden das Nötige und Zukunftsweisende tun
Vielleicht muss man es angesichts dieser Umstände nicht mehr eigens betonen, aber ich will es dennoch aussprechen: Es wird im kommenden Jahr nicht allzu viel Spielraum für ein Wünsch-Dir-Was geben. Und obwohl ich eben den Sportsgeist angeführt habe, der uns beseelen soll, ist dies nicht die rechte Zeit für einen Forderungskatalog im Sinne des olympischen Gedankens, für ein Höher-Weiter-Schneller, für die Forderung nach noch mehr städtischen Dienstleistungen, Baumaßnahmen, Aufwendungen. Wer mehr möchte, wer anderes möchte, der muss dann auch sagen: Das nicht.
Das ist die eine Seite. Auf der anderen sage ich jedoch auch: Wir werden sehr dafür kämpfen, dass wir auch in dieser Situation das Nötige und Richtige finanzieren können – und zwar möglichst ohne Abstriche!
Und darum will ich jetzt auch mit dem nötigen Selbstbewusstsein klarstellen: Ja, es gibt in diesem Haushalt eine Fülle an Ansätzen, wo wir das Nötige, Richtige und auch Zukunftsweisende tun. Es gibt diese Handschrift, diese große Linie, die zentrale Punkte verbindet, und diese Linie reicht vom Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen in der aktuellen Krise über unsere Anstrengungen für die bestmögliche Bildung für jede Gelsenkirchenerin und jeden Gelsenkirchener bis hin zu den langfristigen Themen. Bis hin zur mutigen Weichenstellung für die ökologische Transformation von Mobilität und Wirtschaft – bei Erhalt und Erneuerung des sozialen Zusammenhalts.
Unsere Gelsenkirchener Bildungsoffensive
Bleiben wir kurz beim Thema Bildung: Wir treiben den Ausbau unseres Schul-Angebots im kommenden Jahr zügig voran. Der Neubau der Kulturschule am Schalker Verein läuft, die ggw beginnt zudem 2021 drei Schulbau-Projekte, sie errichtet zwei neue Grundschulen sowie einen umfangreichen Anbau an der Grundschule an der Kurt-Schumacher-Straße – und in den Folgejahren werden wir als Stadt weitere Schulbau-Vorhaben in Angriff nehmen.
Darüber hinaus arbeiten wir an weiteren Stellen für eine echte Bildungsoffensive. Dazu gehört der Sozialdienst Schule, den wir in Gelsenkirchen eigenständig aufgebaut haben und nun verstetigen können, was gerade in diesen Tagen eine ausgesprochen gute Nachricht ist. Dazu gehört der Einsatz dafür, gute Lehrkräfte an die Gelsenkirchener Schulen zu holen – denn uns ist sehr klar: Gute Schulen werden von Menschen geprägt und von Menschen gemacht! Und dazu passt, dass wir ab 2021 mehr Erzieherinnen und Erzieher ausbilden und obendrein gleich vier freie Träger dabei begleiten, neue Kindertagesstätten in Gelsenkirchen zu eröffnen.
Mit zu dieser Bildungsoffensive gehört der Bereich der dualen Ausbildung, einem ganz wichtigen Feld, weil wir hier sowohl Probleme in der Bildung wie auch auf dem Arbeitsmarkt anpacken können. Wir werden im Zusammenspiel mit mehreren Partnern neue Ideen und Lösungen suchen, mit unseren Berufskollegs, den Kammern, Betrieben und Gewerkschaften, zugunsten unserer Wirtschaft und vor allem zugunsten unserer Jugendlicher – ein großes und wichtiges Projekt, das gerne in der Endstufe zu einem neuen Ort der beruflichen Bildung, einem BildungsCampus, führen darf. Ja, das ist ein Vorhaben, das etwas Zeit braucht, und ja, dafür werden wir kämpfen müssen. Aber ich verspreche Ihnen: Dafür werde ich kämpfen!
Arbeit, Klima und Mobilität
Priorität hat natürlich auch der Einsatz für Arbeitsplätze. Sie kennen unseren Einsatz für die Gelsenkirchener Unternehmen, die besonders unter der Pandemie leiden, Sie kennen das Programm „Gelsenkirchen startet durch!“, das im Miteinander von Verwaltung und Unternehmen entstanden ist. Genauso arbeiten wir aber auch an den langen Linien: Wir sind im engen Gespräch mit der Landesregierung zum 5-Standorte-Programm, wo es um den besonderen regionalpolitischen Förderbedarf nach dem Ende der Kohleverstromung geht – und wo wir ganz klar einen echten regionalpolitischen Impuls erwarten; wo wir auf die Weiterentwicklung und Transformation des industriellen Verbundstandortes Gelsenkirchen-Scholven setzen und drängen, und zwar unter Einbeziehung von Wasserstofftechnologien!
An dieser Stelle kommt zum Ausdruck, was generell gilt: Wir arbeiten an der Transformation unserer Wirtschaft, unseres Energieverbrauchs, unserer Mobilität. Bis 2050 wollen wir in Gelsenkirchen klimaneutral sein, ein uns sehr ernstes Ziel, und auf dem Weg dorthin werden wir 2021 wichtige Schritte nehmen.
Zwei maßgebliche Vorarbeiten dafür werden wir im kommenden Jahr leisten: zum einen die Programmplanung Radverkehr, zum anderen eine Potenzialanalyse des ÖPNV. Diese Analyse soll uns maßgebliche Kernpunkte für die nächsten Jahre bieten, und dabei wollen wir mutig denken. Wir werden intensiv über einen Ausbau der Stadtbahnlinien nachdenken, wobei ich besondere Potenziale in einer Option sehe, die jetzt auf den Tisch gehört und für die wir uns einsetzen wollen – in der Verlängerung der Linie 302 vom Ratshaus Buer bis zur Westfälische Hochschule – einer Maßnahme, mit der wir bei der Verkehrsplanung und bei der Stadtentwicklung einen großen Schritt machen können, um die Hochschule endlich besser an die Zentren anzubinden!
Stadtentwicklung und IGA
2021 wird auch das Integriertes Entwicklungskonzept Schalke-Nord in die politische Beratung gehen, was ich für ein sehr wichtiges Signal halte. Die Botschaft ist klar: Trotz Pandemie, trotz der zögerlichen Haltung des Landes, weitere Stadterneuerungsgebiete aus Gelsenkirchen anzunehmen, weil wir eben schon so viel machen – trotzdem lassen wir nicht locker und kümmern uns um diesen Stadtteil!
Das Integrierte Entwicklungskonzept bietet eine Sanierungs- und auch Rückbaustrategie, bei der wir uns sehr fokussiert um die Potenziale des Stadtteils kümmern – und um seine Problemimmobilien. Und das ist nicht nur ferne Zukunftsmusik, sondern schon sehr nah, weil erste Einzelprojekte schon 2021 förderfähig sind, zum Beispiel der Sportgarten auf dem Vorplatz der Kampfbahn Glückauf. Und damit ist die Verbindung schon geschlagen zu einem großen Projekt, das unsere Ost-West-Achse deutlich attraktiver gestalten wird – und das auch nach Schalke-Nord hineinwirken soll: die IGA 2027 – die wir als echte Chance für die Gesamtstadt verstehen und die wir auch so behandeln wollen wie eine kleine IBA. Wir haben eine handlungsfähige Stabsstelle aufgebaut, in den nächsten Monaten laufen wichtige Gestaltungs-Wettbewerbe an – so dass da etwas aufblühen wird, von dem wir uns in den grauen Winterwochen der Pandemie vielleicht noch keine richtige Vorstellung machen, was aber ganz deutlich auf bessere, sonnige Tage verweist!
So viel, meine Damen und Herren, in aller gebotenen Kürze, mit wenigen Schlaglichtern auf einzelne Akzente dieses besonderen Haushaltes. In diesem Haushalt finden Sie deutlich mehr Maßnahmen und Ideen als hier angerissen; Sie finden ein echtes Angebot an die Stadtgesellschaft – aufgestellt und dargeboten mit dem, was diese Zeit braucht: mit Besonnenheit, Verlässlichkeit und Seriosität, aber auch Mut und Phantasie. Mit der Verantwortung, die uns auszeichnet. Im Bewusstsein, dass es an uns liegt, diese Pandemie als Gemeinwesen einigermaßen gut zu überstehen – und mit der Freude auf den Tag danach. Mit großer Vorfreude auf die gute und attraktive Zukunft, die wir gemeinsam gestalten – und für die wir mit diesem Haushalt eine wichtige Weichenstellung vornehmen!