Rede von Oberbürgermeisterin Karin Welge zur Einbringung des Haushaltes 2023
Es gilt das gesprochene Wort!
11. August 2022, 16:00 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Meine Damen und Herren Stadtverordnete,
meine Damen und Herren im Publikum und an den Abspielgeräten,
mit frischem Teint und hoffentlich gut erholt sind Sie, sind wir zurück aus der Sommerpause; ich hoffe, dass Sie die sitzungsfreie Zeit genießen konnten, dass Sie ein bisschen Abstand vom Alltag gewonnen und schöne Ferien verbracht haben – und nun mit jeder Menge Schwung und Elan wieder ins Hans-Sachs-Haus zurückkehren!
Das würde mich freuen, denn Schwung und überhaupt jene positive Grundstimmung, die uns ein schöner Sommer schenken kann – davon können wir im zweiten Sitzungs-Halbjahr auf jeden Fall einen guten Vorrat gebrauchen. Gerade beim Thema, mit dem wir uns heute beschäftigen und dann noch mehrfach im zweiten Halbjahr: dem Haushalt für das kommende Jahr.
Wir bringen den Haushalt für 2023 ein, und was nun vor Ihnen liegt, ist nicht nur ein voluminöses Zahlenwerk, sondern auch ein Musterbeispiel für Gemeinschaftsarbeit und „Work-in-Progress“, für agiles und vernetztes Arbeiten der Verwaltung.
Der Umfang lässt ahnen, dass darin bereits viele Arbeitsstunden stecken, und das waren Stunden wirklich anspruchsvoller Arbeit.
Als frühere Kämmerin habe ich noch ein ganz gutes Gefühl dafür, wie knifflig es gewesen sein muss, angesichts der enormen Fülle an offenen Fragen und unklaren Daten einen tauglichen Entwurf zusammenzustellen. Dass das trotzdem gelungen ist, ist beachtlich, und dafür will ich dem gesamten Team der Kämmerei meine Anerkennung zollen und ganz herzlich danken!
Ein Haushalt mit so vielen Unbekannten wie nie zuvor
Der Haushalt, den wir jetzt vorlegen, ist ein Entwurf; notwendigerweise, weil wir den Beschluss über die Ausgaben erst noch erarbeiten müssen. Er ist es aber genauso aufgrund der Fülle an Unbekannten auf der Einnahmeseite.
Angesichts der konjunkturellen Unwägbarkeiten ist der Umfang unserer Steuereinnahmen nur sehr ungefähr zu beziffern. Auch die Höhe des zweiten großen Einnahmeblocks, der Schlüsselzuweisungen, steht noch nicht fest, im August eher ungewöhnlich. Darum müssen wir heute im Unterschied zu vorangegangen Haushaltseinbringungen sagen: Die Einnahmen lassen sich nur in groben Zügen darstellen.
Auf die Ausgabenseite, so viel ist immerhin bekannt, wird 2023 kein Isolieren und Ausgliedern der Corona-Ausgaben mehr möglich sein: Kosten, die ein dritter Corona-Winter verursacht, finden sich nicht in ferner Zukunft, sondern direkt im Etat wieder.
Dass darüber hinaus 2023 etliche Haushaltsposten teurer werden, teilweise sogar deutlich teurer – das haben wir alle längst auf dem Zettel. Energie- und Heizkosten sind dabei die stärksten Treiber, in den städtischen Gebäuden natürlich, aber auch über bei den Sozialausgaben, namentlich den Kosten der Unterkunft.
Der ÖPNV wird kaum sein Budget einhalten, so dass uns die Bogestra noch Mehrkosten weiterreichen wird – und andere Töchter ebenfalls.
Was den Energieverbrauch im Einflussbereich der Stadt angeht, kann ich sagen, dass wir im Moment intensiv darüber nachdenken, wie wir ihn bis zum Winter reduzieren können. An dieser Stelle will ich nicht zu ausführlich darauf eingehen, weil es dazu eine schriftliche Anfrage gibt, die wir heute noch beantworten. Gleich also gerne mehr dazu.
Fest steht aber jetzt schon: Wir müssen wir davon ausgehen, dass wir 2023 sowohl geringeren Einnahmen wie auch höhere Ausgaben haben – was ganz klar heißt: Es wird nicht einfach, gut über die Runden zu kommen!
Oder anders gesagt, und diese Wahrheit kann ich uns zum Einstieg ins Haushaltsverfahren nicht ersparen: Uns steht mit diesem Haushalt nicht deshalb so viel Arbeit bevor, weil es darum geht, die schönsten Projekte und Vorhaben noch mit einem Schleifchen in der richtigen Farbe zu versehen. Nein, es geht vielmehr darum, sicherzustellen, dass wir das breite Leistungsspektrum unserer kommunalen Aufgaben weiterhin verlässlich erbringen und die Daseinsvorsorge für die Bürgerinnen und Bürger sichern können. Wir müssen uns auf unser Kerngeschäft und zentrale Investitionen konzentrieren – denn es wird schwer genug, überhaupt einen genehmigungsfähigen Haushalt hinzubekommen!
Was auf dem Spiel steht
Nach mehreren erfreulichen Haushaltsjahren ist das eine neue Situation. Eine, die sich für manche anfühlt wie die Rückkehr in die schmerzhafte Vergangenheit von Strukturwandel und Sparzwang. Dorthin also, wo wir eigentlich nicht mehr hinwollten.
Darum will ich noch einen Moment darauf verwenden, warum das so ist – und was im Moment auf dem Spiel steht.
Denn das ist leider noch etwas mehr als der kommunale Haushalt für ein Jahr.
Die Lage ist nicht deshalb ernst, weil jemand in Berlin ohne Not und ein wenig leichtfertig eine Zeitenwende bei der Energieversorgung ausgerufen hätte. Es sind auch nicht die Maßnahmen, die das Problem darstellen, selbst wenn manche Schlagzeile das gerade so nahelegt.
Nein, es ist etwas anders. Der Handlungsdruck ist da, weil es einen Krieg gibt, den niemand von uns vorher für möglich gehalten hatte und der jetzt nicht aufhören will; ein blutiger Angriffskrieg gegen ein demokratisches Land in Europa; ein Krieg, der seit dem 24. Februar an jedem einzelnen Tag Menschenleben fordert, auf beiden Seiten, denn die russische Armee beschießt ja nicht nur ohne Skrupel und Gnade ukrainische Städte. Sie schickt genauso skrupel- und gnadenlos junge Männer aus dem eigenen Land in den Tod.
Und wir sollten nicht aus den Augen verlieren, dass dieser Krieg die Ukrainer nur deshalb trifft, weil sie die Entscheidung getroffen haben, keine Vasallen eines Diktators sein zu wollen. Die Ukrainer stehen für ihre Demokratie ein, mit einem Mut, der uns bewegen muss. Mit einem Mut ein, den wir nur bewundern und unterstützen können – und müssen.
Denn es ist ja ganz klar: Wen wir nicht Position beziehen, wenn wir uns jetzt nicht für die Demokratie einsetzen, wenn unsere Angst vor teurem Gas größer ist – dann wird sich dieser Konflikt nicht auflösen, sondern im Gegenteil noch näher an uns heranrücken! Dann werden die kommenden Jahre für uns eher noch schwieriger!
Gemeinsam durch die Dreifach-Krise
Deshalb kommt es jetzt darauf an, Haltung zu zeigen und sich den Schwierigkeiten zu stellen. Deshalb kommt es darauf, die Demokratie und die Demokraten in Europa zu verteidigen; deshalb kommt es darauf an, in Gelsenkirchen gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern, Härten abzufedern, Menschen zu stärken und zu befähigen, den Wandel mitzugehen und ihn sinnvoll zu gestalten – und die energiepolitischen Chancen zu ergreifen, die darin liegen, denn die gibt es ja auch!
Oder anders und knapper gesagt: Es kommt darauf an, dass wir die Daseinsvorsorge sichern und den energiepolitischen Wandel für unsere Region mitgestalten! Es kommt ganz klar darauf an, dass wir die Menschen in unserer Stadt gut durch die dreifache Krise von Krieg, Klima und Corona bringen!
Das ist ein anspruchsvoller Auftrag und kein sehr einfacher. Dennoch lade ich Sie ein, diesen Auftrag so anzunehmen, dass wir ihn am besten erfüllen, gemeinsam, in einer echten Zusammenarbeit über die hergebrachten Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg, losgelöst von dem Lagerdenken, das in diesem Saal einmal herrschte, von dem wir uns aber zum Glück schon ein gutes Stück entfernt haben!
Und weil es mir damit ernst ist, will ich heute keine Leistungsshow darbieten, die ja oft genug Teil der Haushaltseinbringung war. Es soll heute nicht darum gehen, schöne Projekte ins Schaufenster zu stellen, eins nach dem anderen.
Stattdessen will ich lediglich vier Schwerpunkte für unsere gemeinsame Arbeit vorschlagen; vier Punkte, die in meinen Augen für 2023 essentiell sind und auch über 2023 hinaus. Oder anders gesagt: Ich möchte vier Einladungen an Sie, meine Damen und Herren, aussprechen!
Erstens: Verlässliche Finanzen für eine verlässliche Verwaltung.
Meine erste Einladung gilt – und nein, das ist jetzt keine Überraschung – dem Thema Finanzen. Verlässliche Finanzen als Voraussetzung für eine verlässliche Verwaltung, für eine Stadtverwaltung, die das genau leistet und leisten kann, was die Menschen von ihr in Krisenzeiten erwarten und selbstverständlich auch erwarten dürfen!
Meine Einladung lautet: Lassen Sie uns hier im Rat alles daransetzen, dass wir für 2023 rechtzeitig einen genehmigungsfähigen Haushalt aufstellen!
Wir brauchen im kommenden Jahr von Anfang eine belastbare Grundlage für das Verwaltungshandeln, und wir brauchen 2023 eine handlungsfähige Stadtverwaltung, um der erwähnten Dreifach-Krise zu begegnen – und einen verlässlichen Partner und eine Stütze für alle anderen Akteure in unserer Stadt!
Zugleich sollten wir all unsere Kraft darauf verwenden, dass wir einen Haushalt aufstellen, der nicht zulasten der Zukunft geht, sondern zu ihren Gunsten. Ein Haushalt, der auf Kante genäht sein wird, das schon. Der aber doch für unsere Zukunft arbeitet. Für die Zukunft unserer Stadt. Für ihre gute Entwicklung!
Und weil noch so viele Rahmendaten unseres Haushalts im Fluss sind, sollten wir auch die Chance suchen, Einfluss auf diese Daten zu nehmen. Wir sollten intensiv mit den Akteuren in Land und Bund über die Kommunalfinanzen sprechen, jeder an seiner Stelle: Ich werde das in den Gremien des Städtetags tun, über den direkten Kontakt zur Landesregierung, wo immer ich kann. Aber ich möchte auch Sie bitten, dass Sie ihre Kanäle nutzen, um auf die zusätzliche Bedeutung der Kommunalfinanzen in diesem Jahr hinzuweisen!
Und da stehen uns ja 2022 mehr Kanäle offen als je zuvor: Wir haben hier im Rat gleich drei Fraktionen, deren Parteien die Bundesregierung tragen. Wir haben eine weitere Fraktion, deren Partei in Düsseldorf an der Landesregierung beteiligt ist. Wir haben eine fünfte Fraktion, die in anderen Bundesländern mitregiert.
Wir haben weitere Kräfte, die verantwortungsbewusst sind. Bündeln wir diese Kräfte, wirken wir hier vor Ort und wirken wir auch auf die Entscheidungsträger in Bund und Land ein!
Erinnern wir daran, dass die Städte jetzt Ausgleichzahlungen für Einnahmeausfälle und zusätzliche Kosten benötigen! Und scheuen wir nicht davor zurück, erneut und abermals die grundlegenden Fragen der Kommunalfinanzen zu stellen, denn die sind einfach maßgeblich, auch 2023!
Schieflage Kommunalfinanzen muss angepackt werden!
Nur ein Beispiel dazu: Unsere größte eigene Einnahmequelle ist die Gewerbesteuer – was aber nicht heißt, dass sie eine verlässliche Größe ist. 2017 haben wir durch sie 162,8 Millionen Euro eingenommen, im Folgejahr noch 130,5 Millionen; dann 75,4 Millionen – und 2020 waren es nur noch 31,4 Millionen, kaum mehr ein Fünftel des Betrags von 2017. Dann, im vergangenen Jahr, plötzlich wieder 94,5 Millionen.
Ich würde nun gerne behaupten, die Verdreifachung lag an der neu gewählten Oberbürgermeisterin, aber die Wahrheit ist: Das wäre barer Unfug. Nein, dieses Auf und Ab kann niemand mit der realwirtschaftlichen Lage in unserer Stadt erklären oder mit unseren politischen Entscheidungen – und das ist einfach ein Problem!
Das ist ein Problem, denn dieses Auf und Ab unserer Einnahmen verhindert jede finanzpolitische Transparenz, und damit schadet es der lokalen Demokratie. Und das steht in einem krassen Missverhältnis dazu, dass wir in der Hauptsache ja Regelsysteme – Kitas, Schulen und vieles andere – mit kontinuierliche Ausgaben finanzieren müssen. Und dass sich dann die Berechnung des GFG, der Schlüsselzuweisungen auf diese wankelmütige Gewerbesteuer beziehen und die Pendelschläge ins nächste Haushaltsjahr überführen – das ist nicht der Sinn eines wirksamen kommunalen Finanzausgleichs, das ist fast schon grotesk!
In jedem Falle ist es ein klarer Hinweis darauf, dass uns eine vernünftige Kommunalsteuer fehlt, oder zumindest ein Ausgleichsmechanismus, der den Finanzbedarfen vor Ort Rechnung trägt. Auskömmlich, um unsere vielfältigen Aufgaben zu finanzieren – und verlässlich, um das auch auf lange Sicht zu tun. Darum: Wenn also jetzt in dieser Zeit der strukturellen Brüche Strukturfragen auf der Tagesordnung stehen – setzen wir diesen Punkt mit drauf!
Zweitens: Bildungs- und soziale Gerechtigkeit.
Meine zweite Einladung bezieht sich auf das Thema Bildung, genauer: auf Bildungsgerechtigkeit – durchaus stellvertretend für die Frage der sozialen Gerechtigkeit, die in unserem Land leider zu einer Frage der Geografie geworden ist!
Sie haben ebenso wie ich vor den Sommerferien gelesen, dass Landesbeamte es nicht für abwegig halten, dass an Gelsenkirchener Schulen weniger Unterricht stattfindet als an anderen Standorten. Pointierter und ein bisschen polemisch gesagt: Dass Gelsenkirchener Kinder weniger lernen sollen.
Dass diese Äußerung von Landesbeamten in der Zeitung als städtische Idee dargestellt wird, weil es nun mal das „Schulamt Gelsenkirchen“ heißt und wir dem Land unsere Infrastruktur zur Verfügung stellen – das ist schon ärgerlich.
Aber noch ärgerlicher ist es doch, dass es diese Disparitäten überhaupt gibt; dass Land und Bund seit Jahrzehnten diesen Entwicklungen laufen lassen und dabei einfach zuschauen! Dass sie zusehen, dass junge Frauen und Männer in Münster oder Bonn ihr Lehramtsstudium absolvieren und dann auch einfach an diesen beschaulichen Orten bleiben wollen – während es immer schwierig wird, an anderen Standorten genug engagierte Lehrkräfte zu finden!
Und ärgerlich ist, dass Land und Bund zusehen, wie wir 30 Jahre sparen, sparen und nochmals sparen müssen, mit den Folgen, die wir alle kennen! Da sind Disparitäten entstanden, die massiv die Frage nach der Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen aufwerfen! Und diese Disparitäten lassen sich nicht durch ein paar Förderprogramme hier und da beseitigen! Wir brauchen ein ganz anderes Engagement der staatlichen Ebene für gleichwertige Lebensverhältnisse!
Ein Jahrzehnt des Schulbaus
Und weil das so wichtig ist, und weil es bei der Frage nach Bildung ganz massiv um Gerechtigkeit geht, ist es auch richtig und wichtig, dass wir hier mutig sind, dass wir auch hier Haltung zeigen. Dass wir sagen: Wir haben lange gespart. Wir leisten auch jetzt in der Krise unseren Beitrag. Aber wir stecken bei der Zukunft der jungen Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener nicht zurück!
Und darum müssen wir uns, so herausfordernd das auch sein wird, diese Schulbau-Offensive auch leisten: Nichts von dem, was wir beschlossen und auf den Weg gebracht haben, wird zurückgestellt!
Die erste Schule unseres Schulbau-Programms haben wir vergangene Woche vorgestellt, die Ebertsteinschule. Die ersten Kinder dieser neuen Schule sind dort gestern zum Unterricht gegangen – und sie sind, darüber gibt es keine zwei Meinungen, in eine wirklich sehr schöne Schule gegangen!
Das war ein richtig schöner und guter Tag für Gelsenkirchener – der erste Schultag an einer neuen Gelsenkirchener Schule – nach über 40 Jahren! Freuen wir uns, dass es diese Neuanfänge gibt, nehmen wir diesen Schwung mit!
Und so soll es weitergehen, mit den Grundschulen an der Gräfte, am Wildenbruchplatz, an der Caubstraße und der Achternbergstraße. Dazu die neue Schule am Junkernweg, die Kulturschule an der Europastraße – und die neue Gesamtschule in Bismarck, an einem wirklich besonderen Gelsenkirchener Ort, der Hängebank Consol – auch das steht für einen echten Neuanfang!
Berufliche Bildung neu aufstellen
Und wenn wir über das Thema Bildungsgerechtigkeit geht, dann will ich auch etwas zur beruflichen Bildung sagen. Ich weiß, dass es rund um meinen Vorschlag eines „Bildungscampus“ ein paar Fragezeichen gab, um nicht zu sagen: Irritationen.
Zuerst: Wir haben in unseren Berufskollegs leider einen baulichen Zustand, der so nicht sein darf und nicht bleiben kann. Dieser bauliche Zustand darf vor allem deshalb nicht so sein, weil unsere Berufskollegs ganz entscheidende Einrichtungen für viele junge Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener sind; weil sie am Übergang von der Schule zum Beruf stehen, und weil dieser Übergang bekanntlich zu vielen jungen Menschen in Gelsenkirchen nicht gut gelingt. Vergleiche mit anderen Orten sind ja mehr als deutlich.
Wir haben in Gelsenkirchen lange den Schwerpunkt auf frühe Bildung gelegt, und das völlig zurecht. Aber jetzt müssen wir auch in den späteren Etappen der Bildungsbiografie etwas machen, und darum sollte unser Angebot am Übergang in den Beruf besser werden!
Deshalb habe ich gesagt: Bei unserem Angebot der Berufsbildung muss baulich etwas passieren, ob in Gestalt eines Campus oder, wenn das nicht möglich sein sollte, in einer anderen Form!
Wenn wir allerdings jetzt etwas Neues bauen, dann sollte es auch das Richtige sein; und dann sollte es nicht nur das Bestehende ein bisschen aktualisieren, sondern dann sollte es auch zukunftweisend sein, dann sollte es auch unser berufspädagogisches Angebot spürbar verbessern und fortentwickeln!
Ich habe die Hoffnung und auch den Ehrgeiz, dass wir hier – rund um den gebauten oder gedachten Campus – modelhafte Projekte entwickeln, um junge Menschen besser in die Arbeitswelt begleiten, so dass sie auch künftig für sich selbst sorgen können. Und ich habe die Erwartung, dass wir für dieses Modellprojekt eine echte Unterstützung des Landes bekommen, aus einem einfachen Grund:
Weil diese Unterstützung genau hier, genau an diesem Standort einfach nötig ist, weil sie hier eine bitter nötige und deshalb auch sehr kluge Investition wäre!
Und ja, natürlich ist die Fortentwicklung unserer Angebote der beruflichen Bildung eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, schließlich geht es darum, ein schon bestehendes und ziemlich komplexes System besser zu machen.
Das wird etwas dauern, da gibt es keine Lösung von der Stange, da kann Ihnen niemand nach drei Wochen einen fixen Plan vorlegen. Aber mit dem nun entstehenden Gutachten zur Schulentwicklungsplanung ist ein erster Schritt genommen, dem weitere folgen. Und auch für die richtige Finanzierung werden wir kämpfen müssen. Das wird viel Einsatz von uns verlangen. Aber ich in überzeugt: Das ist ein Einsatz, der sich lohnt, der unsere Stadt besser machen kann – und ich bin nicht willens, aufzustecken, ohne überhaupt gekämpft zu haben!
Drittens: Klimaneutrale Stadt und Standort.
Kommen wir zum dritten Punkt. Vorhin habe ich gesagt: In dieser energiepolitischen Situation stecken auch Chancen. Ja, wir schauen mit Unbehagen auf den Winter und wissen nicht, wie gut wir mit weniger Gas auskommen. Wieviel wir als Gesamtgesellschaft sparen können.
Aber wahr ist auch: Sowohl die Entwicklung auf dem Gasmarkt wie beim Klima drängen uns in dieselbe Richtung – letztlich in die richtige Richtung. Sie drängen uns dahin, uns besser auf die Zukunft vorzubereiten. Und Gelsenkirchen hat das Zeug, diese Zukunft mitzugestalten!
Darum lautet meine dritte Einladung: Lassen Sie uns den Weg zur klimaneutralen Stadt und Wirtschaftsstandort mutig beschreiten!
Auf dem Weg sind wir ja schon längst. Sie kennen unser Engagement zugunsten der Erforschung und Nutzung von Wasserstoff, unsere Zusammenarbeit mit der Westfälischen Hochschule, der Verbundindustrie und dem industriellen Mittelstand, denken Sie an das Klimahafen-Projekt. Wir befinden uns in Gesprächen mit BP über die Entwicklung einer innovativen Anlage für Kunststoff-Recycling, denn Klimaschutz hat viel mit Kreislaufwirtschaft zu tun. Und wenn das Land ernsthaft die Entwicklung der ersten klimaneutralen Industrieregion plant, wie es im Koalitionsvertrag heißt, dann haben wir da ein Angebot zu machen!
Wir bauen unsere Energieversorgung um, wir wollen, wir müssen und wir werden klimaneutral werden, so rasch wie möglich – dieser Sommer hat diese Notwendigkeit ja noch einmal deutlich unterstrichen. Entsprechend werden wir in diesem Jahr auch ein neues Klimakonzept vorstellen und beraten; den Gelsenkirchener Fahrplan zur Klimaneutralität, das Klimakonzept 2030/2050.
Mit dem Klimakonzept werden wir das Rad nicht neu erfinden, denn wie gesagt: Wir sind ja schon unterwegs. Etablierte Dinge führen wir weiter, aber in einem stärkeren Volumen.
Wir sind sicher, dass die Nachfrage für unsere Angebote zunehmen wird: Nicht nur für unsere städtische Förderung von Photovoltaik, das ist die Nachfrage schon groß, sondern auch für die Dach- und Fassadenbegrünung und für unsere Info-Angebote. Nehmen wir nur unser Beratungsangebot zur energetischen Sanierung von Gebäuden „Alt-Bau-Neu“, das noch mehr Menschen helfen kann. Nein, niemand muss sagen, er bekäme keine Unterstützung!
Und auch das will ich in aller Deutlichkeit sagen: Klimaaspekte spielen in der Planung und Gestaltung von öffentlichen Räumen und Plätzen künftig eine viel stärkere Rolle – und ja, wir lernen aus den Fehlern der Vergangenheit!
Viertens: Zusammenleben.
Und damit bleibt nur noch ein Punkt auf der Liste der vier Kernanliegen, und dieser Punkt ist der wichtigste. Der Punkt, ohne den allem anderen das Zentrum fehlt – denn im Zentrum unserer Stadt muss natürlich das gute, das respektvolle, solidarische, kreative Zusammenleben stehen!
Das Zusammenleben auf der Basis von Sicherheit und Sauberkeit, wofür wir uns weiter einsetzen; selbstverständlich fordern wir Regelbindung ein, ohne geht es nicht! Erst recht nicht, wenn die Zeiten schwieriger werden.
Auf dieser Basis allerdings wollen und werden wir auch das kreative Zusammenleben unterstützen und befördern, das enge, vertrauensvolle und lebensfrohe Miteinander der Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener in ihren Quartieren und Stadtteilen; das ohnehin schon große und bunte Kulturangebot in unserer Stadt, das gesamte Potenzial unserer Stadt und ihrer Menschen im Sport, in der Wirtschaft; das wunderbare Potenzial unserer Vereine und Initiativen!
Dieses Potenzial, das in der Pandemie leider zurückstehen musste, das aber wieder stärker in den Vordergrund rücken soll und wird. Auch dafür wollen wir 2023 alles tun, was möglich und nötig ist – und da werden wir nach der Pandemie genau hinschauen, wo der Handlungsbedarf am größten ist!
„Keine Leistungsschau!“, hatte ich Ihnen vorhin versprochen. Ich will und werde also auch an dieser Stelle nicht Einzelmaßnahme um Einzelmaßnahme auflisten. Es kommt zwar auf jedes einzelne Projekt an, aber entscheidend ist doch die Summe, das Netz, das sich aus der Fülle an Engagement spinnt, das Netz, das unser Zusammenleben ausmacht, das uns auffängt, uns hält und zusammenführt!
Entscheidend ist und bleibt, auch in Zeiten von Corona und Krieg: Wir leben in dieser Stadt gemeinsam; wir pflegen das Gemeinsame, und wir feiern es auch: beim Feierabendmarkt, beim Stadtteilfest, im MiR, in der Kneipe um die Ecke, am Wochenende im Vereinsheim, beim Training in der Woche, bei den spontanen, ungeplanten Begegnungen, in den Schulen und Kitas, Museen und Galerien – und an zahllosen Orten!
Wie wichtig dieses gemeinsame Leben in einer Demokratie ist, das wissen wir alle. Wir haben es in der Pandemie schmerzlich vermisst. Wie fatal es ist, wenn es fehlt, wenn das zivilgesellschaftliche Zusammenleben gezielt unterbunden wird, das sehen wir in Russland, in dem Land, von dem dieser Krieg ausgeht. Denn wenn wir uns fragen, warum es möglich ist, dass die Menschen einen brutalen Krieg gegen ein Nachbarland hinnehmen, gegen ein Land, in dem zudem noch vielfach die gleiche Sprache gesprochen wird – dann kommt man unweigerlich zu diesem Punkt: Weil in Russland die Menschen bewusst voneinander ferngehalten werden!
Natürlich braucht es dieses Beispiel nicht, um den Wert unseres Miteinanders zu verstehen und den Wert unserer lokalen Demokratie. Sie alle kennen ihn. Wir alle wissen, was jetzt, was 2023 auf dem Spiel steht.
Deshalb: Lassen Sie uns gemeinsam die Herausforderungen dieser Zeit annehmen. Suchen wir uns keine leichteren Aufgaben als die, die an uns gestellt werden. Widmen wir uns keinen Scheindebatten. Ducken wir uns nicht weg. Packen wir die Aufgaben an, die da sind.
Tun wir, was nötig ist, bringen wir unsere Stadt und die Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener gut durch diese Zeit. Ich danke Ihnen ganz herzlich für Ihren Beitrag!