09. November 2024, 20:10 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Mehrere hundert Menschen nahmen am Schweigezug zum Gedenken an die Novemberpogrome 1938 teil... Bildrechte: Gerd Kaemper
Seit 60 Jahren gedenken Bürgerinnen und Bürger in Gelsenkirchen der Opfer der antisemitischen Novemberpogrome im Jahr 1938. Mehrere hundert Menschen sind am Samstag, 9.November, dem diesjährigen Aufruf der Demokratischen Initiative zur Teilnahme an einem Schweigezug und anschließender Kundgebung gefolgt. Sie setzten damit erneut ein Zeichen für Respekt, Toleranz und Zivilcourage - gegen Gewalt und Menschenfeindlichkeit. Der Schweigezug folgte dem damaligen Weg, der im Jahr 1964 über die Bahnhofstraße und Arminstraße bis zur Georgstraße 2 führte. Dort stand die Synagoge bis zu ihrer Zerstörung am 9. November 1938. Es dauerte fast 70 Jahre bis an gleicher Stelle die Neue Synagoge feierlich eröffnet wurde.
Die 1. Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, Slava Pasku, begrüßte die Kundgebungsteilnehmerinnen und –teilnehmer: „Wir sind hier zusammengekommen, um eine der dunkelsten Stunde in der Geschichte zu erinnern und zu gedenken. Tausende Synagogen wurden am 9. November geschändet und zerstört, auch die Synagoge in Gelsenkirchen.“ Schmerzlich seien die Ereignisse vor wenigen Tagen gewesen, als vor einem Fußballspiel in Amsterdam Fans der israelischen Mannschaft attackiert, getreten und geschlagen wurden. „Das geschah, weil man Jüdinnen und Juden angreifen wollte. Es war blanker Judenhass.“ Dies mache deutlich, dass es nötiger sei denn je, gegen Gewalt und Menschenfeindlichkeit eindeutig Stellung zu beziehen, so Slava Pasku.
Mit Gebeten wie dem Kaddisch, einem Gebet für die ermordeten Juden Europas, wurde der Opfer gedacht und Orte des nationalsozialistischen Vernichtungswahns wie Auschwitz, Dachau, Ravensbrück oder Buchenwald in Erinnerung gerufen.
Eva Klaka, Vorsitzende SJD – Die Falken Unterbezirk Gelsenkirchen blickte bei der Kundgebung auf das Jahr 1964 zurück, als die Falken den ersten Schritt machten, um an die Opfer der Pogromnacht zu erinnern. Aus der Stadtchronik des Jahres geht hervor, dass sich etwa 1.500 Personen daran beteiligt hatten.
Seither setzt man sich bei den Gelsenkirchener Falken immer wieder mit den Geschehnissen rund um die von den Nazis zynisch Reichskristallnacht genannten Pogrome auseinander. Jugendliche haben sich, unterstützt von der Gelsenkirchener NS-Dokumentationsstätte, mit den Geschichten von Familien beschäftigt, die 1938 drangsaliert, gedemütigt und ausgeraubt wurden, deren Träume und Hoffnungen zerstört wurden. Eva Klaka betonte: „Gelsenkirchen hat eine lange Tradition der Solidarität und des Miteinanders – und diese Tradition müssen wir fortsetzen. Wir wollen heute nicht nur der Vergangenheit gedenken, sondern auch für eine bessere Zukunft eintreten.“
Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin und Schirmherrin der Demokratischen Initiative, Karin Welge, dankte den Falken für ihr Engagement: „Vor allem jenen, die 1964 den Mut hatten, auf die Straßen zu gehen – und allen, die diese Tradition beibehalten und gepflegt haben, über sechs Jahrzehnte, bis heute!“ Ohne die Falken hätte die öffentliche Aufarbeitung unserer Vergangenheit noch später begonnen, so die Oberbürgermeisterin weiter: „Und ohne sie hätten wir nicht den 9. November als den zentralen Tag unserer Gelsenkirchener Gedenkkultur – in der Form, wie wir ihn nun in der ganzen Breite der Demokratischen Initiative begehen!“
Oberbürgermeisterin Welge erinnerte daran, dass die Falken auch am 9. November 1989 auf der Straße waren, als Menschen im Osten Deutschlands ebenfalls auf die Straße gingen. Zwei Demonstrationen, die unabhängig voneinander und unabgesprochen ein gemeinsames Ziel hatten: ein demokratisches Deutschland. „Sie waren präsent an jenem Abend, von dem niemand zuvor ahnte, was er bringen würde: Reise- und Meinungsfreiheit für Millionen, demokratische Rechte. Kostbare Güter, die heute manche, und das ist kaum zu fassen, in ihrem Wert nicht zu schätzen wissen und die sie gerade wieder verramschen wollen!“
Das aber, das dürfe nicht zugelassen werden, mahnte die Oberbürgermeisterin und forderte dazu auf, sich auch weiterhin sichtbar und eindeutig gegen diese, die Demokratie gefährdenden Entwicklungen zu stellen, so wie erneut an diesem 9. November: „Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mit dabei sind. Dass Sie heute dabei sind, aber auch morgen, wenn wir als Gelsenkirchener Demokratinnen und Demokraten in unserem Alltag und als öffentliche Personen glasklar für unsere Demokratie einstehen – weil wir es müssen, weil wir es wollen, aber auch weil wir es können! Danke schön!“
Zum Abschluss der Kundgebung sangen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Lied „Die Moorsoldaten“, das von Insassen des Konzentrationslagers Börgermoor im Emsland verfasst wurde. In diesem Konzentrationslager wurden vorwiegend politische Gegner des NS-Regimes gefangen gehalten.