„War mir immer ein Anliegen, ohne falsche Versprechungen, übertriebene Selbstinszenierungen oder Populismus Lösungen zu erarbeiten“
09. Dezember 2024, 16:14 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
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Oberbürgermeisterin Karin Welge bedankt sich in einem persönlichen Schreiben bei den Bürgerinnen und Bürgern und erklärt, nicht erneut für das Amt zu kandidieren.
„Liebe Gelsenkirchenerinnen, liebe Gelsenkirchener,
fast 14 Jahre ist es her, dass ich nach Gelsenkirchen gekommen bin. 14 Jahre, in denen ich für unsere Stadt, für Sie alle arbeiten darf. Und das sehr gerne. Warum ich diese Zeit in den letzten Wochen immer wieder rekapituliert, mich an gute und schwere Momente erinnert habe, hat – wie Sie sich sicherlich denken können – etwas mit der Kommunalwahl im nächsten Jahr zu tun.
Und mit der Frage, ob ich erneut als Oberbürgermeisterkandidatin antreten werde.
Wir sind in unserer Stadt etwa 270.000 Menschen. Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen, mit den unterschiedlichsten Leben, Interessen und Bedürfnissen; und auch mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen von einem guten Leben. Ich verstehe mich und meine Arbeit als Teil dieses besonderen und manchmal auch herausfordernden Organismus. Als eine von 270.000, und dazu mit einem ganz besonderen, mir von Ihnen verliehenem Mandat. Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar.
Mein Ziel war, für alle nahbar, erreichbar und ansprechbar zu sein
Das Mandat umfasst Aufgaben und Verantwortungen, Pflichten und Rollen, die eine Oberbürgermeisterin erfüllen darf und muss. Mein Ziel war und ist es, erstens für alle Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt nahbar, erreichbar und ansprechbar zu sein und zweitens mich gleichzeitig in zahlreichen Gremien, Strukturen und staatlichen Ebenen professionell, an Bedarfen orientiert, aber auch politisch hartnäckig und diplomatisch für die Interessen Gelsenkirchens einzutreten und Lösungen zu organisieren, einzufordern und umzusetzen. Und dabei gleichzeitig für 7000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Verantwortung zu tragen.
Wenn mir das geglückt ist, habe ich den Anspruch, den ich an mich gestellt habe, bis heute erfüllt. Und ich werde über das kommende Jahr hinaus engagiert für die Anliegen Gelsenkirchens eintreten. Aber nicht mehr als Oberbürgermeisterin.
2025 werde ich nicht mehr für dieses Amt kandidieren.
Diese Entscheidung war keine leichte. Aber Gelsenkirchen verdient eine Oberbürgermeisterin, die sich mit aller Kraft, weit über das übliche Maß hinaus für die Stadt einsetzt. Ich fühle, dass die letzten Jahre ihren Tribut gefordert haben und meine Kraft nicht mehr für weitere fünf Jahre reicht. Am Ende meiner Amtszeit werden es insgesamt 38 sehr intensive Arbeitsjahre sein, die ich gemeinwohlorientierten Interessen gewidmet habe. Davon fast 28 Jahre als erste Beigeordnete, Kämmerin, Krisenstabsleiterin, Stadtdirektorin und jetzt als Oberbürgermeisterin.
Stets auf der Suche nach vertretbaren Kompromissen
Während all dieser Jahre war es mir immer ein Anliegen, ohne falsche Versprechungen, übertriebene Selbstinszenierungen oder Populismus Lösungen im Rahmen geordneter demokratischer Prozesse zu erarbeiten. Dabei war und bin ich stets auf der Suche nach vertretbaren Kompromissen und umsetzbaren Entscheidungen, um möglichst viele städtische und politische Akteure mitzunehmen. Und um die Kräfte zu bündeln.
Die 14 Jahre hier in Gelsenkirchen sind für mich ganz besondere Jahre unter ebenso besonderen Herausforderungen. Nach wie vor bekommen wir in Gelsenkirchen im gesamtdeutschen wie im nordrhein-westfälischen Kontext zu wenig Beachtung. Obwohl gerade wir es sind, die Brennglas und Pilot zugleich für so viele Entwicklungen sind, nicht nur in Bezug auf Bildungsketten, Familienzentren, Integration und Intervention. Da müssen wir zusammen weiter am Ball bleiben. Dieser Weg wird ein engagierter bleiben.
Und trotzdem ist uns in den vergangenen Jahren viel gelungen. Haben wir uns auf den Weg gemacht. Trotz so manch widriger Bedingungen, wie der Corona-Pandemie, der Energiemangellage und der Einflussnahme der weltpolitischen Lage auf unsere Stadt.
Uns ist viel gelungen: Sozialer Arbeitsmarkt, konsolidierter Haushalt, Aufstockung des KOD und 100 Millionen Euro für die Zukunftspartnerschaft
Gemeinsam mit vielen von Ihnen, städtischen und politischen Akteuren, ist es mir in den zurückliegenden Jahren gelungen, konzeptionell und inhaltlich viele wichtige Weichen zu stellen. So hat der soziale Arbeitsmarkt vielen hundert Langzeit-Arbeitslosen sinnstiftende Arbeitsplätze gebracht. Ein jahrelanger Kraftakt, bei dem so viele Akteure hier in Gelsenkirchen gemeinsam an einem Strang zogen. Als Sozialdezernentin sind in meinem Ressort nicht nur die sozialen Angebotsstrukturen in den Quartieren neu geordnet worden, sondern auch die Interventionsteams initiiert und erweitert worden, die bis heute behördenübergreifend und erfolgreich gegen Missstände in und an Immobilien vorgehen und mehr denn je gebraucht werden.
Unter meiner Ägide als Kämmerin haben wir nach mehr als 30 Jahren den ersten konsolidierten Haushalt verabschiedet, der uns neue Handlungsspielräume eröffnet hat. Eine meiner ersten Amtshandlungen als Oberbürgermeisterin war die Aufstockung des Kommunalen Ordnungsdienstes auf 100 Mitarbeiter, um die Ordnungspräsenz auf unseren Straßen zu verstärken. Wir investieren mehr denn je in die Infrastruktur und das antizyklisch, weil es notwendig und richtig ist. Mit der Zukunftspartnerschaft konnten wir im vergangenen Jahr ein einzigartiges Modell nur für Gelsenkirchen etablieren, das uns mit 100 Millionen Euro dabei unterstützt, schwierige Quartiere aufzuwerten und neu zu entwickeln. Und auch in der Verwaltung mit 7.000 Kolleginnen und Kollegen konnte ich neue Strukturen einziehen und mit einer anderen Philosophie eine vertrauensvolle Kultur des Miteinanders etablieren. Und wir unterstützen viele ehrenamtliche Strukturen, die Großartiges für uns alle leisten, mit mehr Mitteln als je zuvor.
Schulbauoffensive und Realisierung des Bildungscampus
Ich bin der festen Überzeugung, dass Bildung der Hebel ist, der unsere Stadt auf die Gewinnerseite führen kann und wird. Mein Versprechen vor der Wahl war es deshalb, mich hier besonders intensiv zu kümmern.
Gelsenkirchen erlebt aktuell die größte Bildungsoffensive, die es in der „Stadt der 1000 Feuer“ je gegeben hat. Neben dem Ausbau zahlreicher Kindertagesstätten und einer großen Anzahl an Schulneubauten können wir auch die anstehende Realisierung des Bildungs- und Innovationscampus – eines zukunftsweisenden Konzeptes der beruflichen Bildung, das gemeinsam von Bildungs- und Wirtschaftspartnern getragen wird – auf der Habenseite verbuchen. Weitere konkrete Entscheidungen hierzu stehen im kommenden Frühjahr an.
Am vergangenen Donnerstag haben wir uns – wie in den Jahren zuvor – mit SPD, CDU, Bündnis 90/die Grünen und FDP auf einen gemeinsamen Haushalt für 2025 verständigt und konnten dabei einen guten demokratischen Kompromiss für unsere Stadt und die kommenden Monate erzielen.
Besonders die letzten Wochen und Tage waren wichtig, um diese Schritte in die Wege zu leiten und wichtige Projekte auf die Zielgerade zu bekommen. All das wollte ich tun, ohne dass ein „Mediengewitter“ uns begleitet. In Ruhe und ohne Beeinflussung, die durch meine Entscheidung, nicht mehr zu kandidieren, möglicherweise hätten entstehen können. Aus diesem Grund habe ich mich für die Bekanntgabe meiner Entscheidung erst am heutigen Tag entschieden. Um die vielen, die mich in diesen Tagen gebeten haben, weiter zu machen, nicht länger warten zu lassen.
Gelsenkirchen weiter voranbringen
Spannende Monate liegen hinter uns mit einer Europameisterschaft, die mit ihrem Rahmenprogramm so viel Freude gemacht hat, ein Sommer und ein Herbst voller gelungener Veranstaltungen, an denen zahlreiche Ehrenamtliche gezeigt haben, wie sie die das Zusammenleben in den Quartieren gemeinschaftlich weiterentwickeln. Und denen ich auch an dieser Stelle nochmals ausdrücklich danken möchte.
Weitere spannende Monate liegen vor uns, die wir zusammen nutzen sollten, unser Gelsenkirchen weiter voran zu bringen. Ich jedenfalls freue mich auf Vieles, das wir noch gemeinschaftlich in und für unsere Stadt umsetzen werden.