16. Dezember 2008, 11:02 Uhr | Stadt Gelsenkirchen
Eine Ära geht zu Ende. Mit der letzten Schicht auf dem Bergwerk Lippe, das zum Jahresende geschlossen wird, endet an diesem Freitag endgültig die 150 Jahre währende Bergbaugeschichte der Stadt Gelsenkirchen.
Kohle wurde zwar auf Gelsenkirchener Stadtgebiet seit dem Jahr 2000 - der Schließung der Zeche Hugo - nicht mehr gefördert, aber der Sitz des Bergwerks Lippe befindet sich auf der Zeche Westerholt in Gelsenkirchen. Ein Stück aktiven Bergbaus blieb also bis jetzt noch mit der einst größten europäischen Kohlestadt verbunden. Ab Freitag ist Gelsenkirchen kein Bergbaustandort mehr.
Ganz ohne Kohle gab es Gelsenkirchen bislang noch nicht. Und ohne Kohle wäre Gelsenkirchen auch nie entstanden. Jetzt aber muss es ohne Kohle leben. Damit beginnt nun endgültig der zweite Teil der Geschichte unserer Stadt, der ja eigentlich schon vor Jahrzehnten begonnen hat.
Denn seit langem begleiten und gestalten wir den Strukturwandel in Gelsenkirchen und konnten auf diese Weise viele Flächen, die der Bergbau zurückgelassen hat, umnutzen - für neue Technologien, für Kultur, für Freizeit. Auf der Zeche Nordstern fand 1997 die viel beachtete Bundesgartenschau statt. Aus der Zeche Consol 4 wurde mit Theater und Musikprobenzentrum ein wichtiger Impulsgeber für den Stadtteil Bismarck, auf Consol 6 werden heute Solarmodule produziert. Auf diese Weise bauen wir in Gelsenkirchen auf der erfolgreichen Vergangenheit auch eine erfolgreiche Zukunft auf.
So werden wir es auch mit der Zeche Westerholt tun. Die Planungen für die Zukunft haben hier schon lange begonnen. Ihre besondere Lage - jeweils zur Hälfte auf Gelsenkirchener und auf Hertener Stadtgebiet - erfordert eine ganzheitliche, sozial und städtebaulich verträgliche Nachnutzung in enger Abstimmung mit unserer Nachbarstadt. Bereits im letzten Jahr haben Experten unter der Federführung der Technischen Universität München Konzepte für die Folgenutzung erstellt. Anfang September dieses Jahres haben der Hertener Bürgermeister Dr. Uli Paetzel und ich einen Kooperationsvertrag unterzeichnet und dadurch ein bisher einmaliges „Interkommunales Integriertes Handlungskonzept" für die Stadtteile Hassel, Westerholt und Bertlich auf den Weg gebracht. Ziel wird es sein, auf der Tradition auch hier etwas Neues für die Zukunft entstehen zu lassen und dadurch gleichzeitig ganze Stadtteile zu stabilisieren und behutsam zu modernisieren.
Die Städte brauchen immer noch Hilfe im Strukturwandel
Klar ist aber, dass in Zukunft auch investiert werden muss. Klar muss sein, dass, was dort geschieht und geschehen muss, einen sozialen, arbeitsmarktpolitischen und städtebaulichen Mehrwert hat, der sich nicht immer gleich kurzfristig auszahlt. Und dass die Entwicklungen dort nicht mit unrealistischen Renditevorgaben gefährdet werden dürfen. Ebenfalls klar muss sein, dass Städte in ihrem immer noch andauernden Strukturwandel Unterstützung brauchen. Deshalb müssen die durch die derzeit hohen Weltmarktpreise eingesparten Subventionen von Bund und Land in die Kohlerückzugsgebiete fließen.
Diejenigen, die mitgeholfen haben, dieses Land nach dem Krieg aufzubauen, dürfen nicht vergessen werden. Solidarität, dafür haben die Menschen in unserer Stadt ein feines Gespür, funktioniert immer in beide Richtungen: Ihr für uns und wir für Euch!
Der Bergbau in Gelsenkirchen ist mit Ablauf des Jahres Geschichte. Aber wer sagt denn eigentlich, dass er in Deutschland generell ein Auslaufmodell sein muss? Wer weiß denn, wie sich die Gestehungskosten in anderen Teilen der Welt noch entwickeln? Und wer kann denn die politische Stabilität der Länder, von deren Bodenschätzen wir uns abhängig zu machen drohen, voraussagen? Die im Steinkohlefinanzierungsgesetz festgeschriebene Revisionsklausel, nach der im Jahr 2012 gründlich geprüft werden soll, ob der heimische Steinkohlebergbau 2018 endgültig aufgegeben wird, muss absolut ernst genommen werden. Ein Sockelbergbau auch über 2018 hinaus kann aus energiepolitischen Gesichtspunkten in hohem Maße Sinn machen.
Der Bergbau wird die Stadt wohl für immer prägen
Für Gelsenkirchen wird es dabei keine Revision geben. Der Bergbau hat Gelsenkirchen entstehen lassen. Und er wird die Stadt noch weit über sein Verschwinden prägen. Schründe und Narben der Industrialisierung werden das Gesicht unserer Stadt immer zeichnen. Wir schämen uns ihrer nicht. Es sind Zeichen ihres Lebens. Zeichen eines Aufbruchs, der jetzt zum zweiten Mal stattfindet. Denn auch wenn jetzt alles ganz anders ist, bleibt doch vieles gleich: etwa die unerschütterliche Tatkraft und der Pioniergeist der Menschen, die hier zuhause sind.
Dort, wo Menschen für das brennen, wofür sie sich einsetzen, wird immer die Stadt der 1.000 Feuer bleiben!
Glück auf!
Ihr
Frank Baranowski