Am 15. Dezember 1959 wurde einer der wichtigsten Theaterbauten der Nachkriegsgeschichte eröffnet: Das Musiktheater im Revier am Kennedyplatz in Gelsenkirchen.
Der Entwurf für den schmucken Bau stammt von dem Architektenteam von Werner Ruhnau, Harald Deilmann, Max von Hausen und Ortwin Rave. Für den Bau wurde ein nicht ausgeführter Entwurf Mies van der Rohes für das Mannheimer Nationaltheater variiert. Das Große Haus des Theaters ist über eine Verbindungsbrücke mit dem Kleinen Haus verbunden, das architektonisch ganz anders gestaltet ist – aber nicht minder faszinierend. Auch hier sorgt eine Glasverkleidung im Foyer für einen spektakulären Ausblick. Am 22. Juni 1956 legte der damalige Gelsenkirchener Oberbürgermeister Robert Geritzmann den Grundstein für den gläsernen, lichtdurchfluteten Theaterneubau.
Werner Ruhnau, der als Architekt die Federführung übernahm, gründete nach dem Vorbild des Bauhüttenwesens im Mittelalter eine „Opernbauhütte“ auf dem Areal und scharte internationale bildende Künstler wie Norbert Kricke, Robert Adams, Paul Dierkes und Jean Tinguely um sich, die Mobiles und Skulpturen für Außenwände und das Foyer gestalteten. Einige Zeit lang wohnte Ruhnau unter anderem zusammen mit Paul Dierkes und Norbert Kricke auf der Baustelle. Sein Ziel: Mit dem Musiktheaterbau im Revier nicht nur „Kunst am Bau“ zu schaffen, sondern echte Baukunst. Deshalb wurden die bildenden Künstler in die Entstehung des Theaterbaus direkt mit einbezogen. Robert Adams weißes Betonrelief vor dem Kassenhaus, filigrane Röhrenplastiken von Norbert Kricke, kinetische Arbeiten von Jean Tinguely und ein Relief von Paul Dierkes an der Rundwand des Auditoriums prägen nun das architektonische Gesamtkunstwerk.
Zu den wichtigsten Elementen des Baus zählen jedoch die markanten Schwamm-Reliefs eines Franzosen: Im März 1957 entdeckte Ruhnau in Paris den jungen, bis dahin kaum bekannten Künstler Yves Klein und überredete ihn, mit nach Gelsenkirchen zu kommen. Der ursprüngliche Plan, die Seitenwände des Theaterfoyers mit riesigen Spiegeln auszustatten, wurde verworfen, als Ruhnau Yves Kleins monochrome Arbeiten sah. Yves Klein Schuf für den MiR-Neubau überdimensionale Schwammreliefs in Blau - inzwischen ist die Farbe des Musiktheaters als „Gelsenkirchener Blau” in die Kunstgeschichte eingegangen.
Durch die gläserne, 4500 Quadratmeter große Theaterfront des Großen Hauses, die Schwellenängste abbauen sollte, ist dieses Gelsenkirchener Blau auch von außen zu sehen. In der Dunkelheit scheint das Haus von innen in die Stadt hineinzuleuchten. Werner Ruhnau hatte für die Front eigentlich einen „Luftvorhang“ geplant – nach dem Vorbild der ersten Lufttüren in den Warenhäusern, die gegen Ende der 1950er Jahre in Mode kamen. Der Architekt wollte dadurch Lichtspiegelungen auf der Glasfassade vermeiden. Doch die luftige Idee ließ sich aus Kostengründen nicht realisieren. So rückten Glasscheiben - übrigens alle aus Gelsenkirchener Produktion, denn die Stadt war zu dieser Zeit ein bedeutsamer Standort für die Produktion von Flach- und Bauglas - an die Stelle der „Luft“, um den MIR-Besuchern im Foyer den Blick auf die „Sichtachse“ bis hin zum Gelsenkirchener Rathaus, dem Hans-Sachs-Haus, zu ermöglichen. Die Stadt Gelsenkirchen arbeitet derzeit daran, diese geplante Sichtachse durch umfangreiche Umstrukturierungsmaßnahmen entlang der Ebertstraße wieder transparent zu machen.
Seit 1997 steht der Bau des Musiktheaters im Revier unter Denkmalschutz. Im Zuge von 6,7 Mio Euro teuren Sanierungs- und Renovierungsmaßnahmen hat er zum 50. Geburtstag im Jahr 2009 eine neue Dachkonstruktion zur Verbesserung der Akustik und einen Sternenhimmel mit zwei Milchstraßen zur Beleuchtung des Publikumsraums erhalten – ein lang gehegter Traum Ruhnaus, der zuvor lange Zeit aus Kostengründen nicht realisiert werden konnte. Werner Ruhnau, der auch im hohen Alter noch regelmäßig Besuchergruppen durch „sein“ Musiktheater führte, verstarb am 6. März 2015 im Alter von 92 Jahren.