Da auch der umfangreiche Bau von Werkssiedlungen und Kolonien, die von der raschen Zuwanderung verursachte Wohnungsnot nicht kurzfristig beheben konnte, mussten die Zuwanderer andere Möglichkeiten suchen, im Ruhrgebiet "unterzukommen"... Sie wurden oftmals zu "Schlafgängern": So bezeichnete man meist junge zugewanderte Arbeitskräfte, die sich bei einer Arbeiterfamilie einmieteten, wobei oft nur ein Bett vermietet wurde oder untervermietete Zimmer mehreren Menschen zur Verfügung standen, die dort "zum Schlafen gingen".
Das Schlafgängerwesen war keineswegs grundsätzlich unbeliebt, da es einerseits für die jungen ledigen Zuwanderer das Wohnproblem löste und für sie eine Anlaufstelle bildete und andererseits die Quartiergeber bei den Mietkosten entlastete. 1888/89 sollen unter den etwa 40.000 Einwohnern von Stadt- und Landkreis Gelsenkirchen 9.860 als Schlafgänger gelebt haben. Damit war der Höhepunkt erreicht. In den Augen des herrschenden Bürgertums war das Schlaf- und Kostgängerwesen ein Hort der Sünde und Unsittlichkeit. Den beengten Wohnverhältnissen, den Familienverhältnissen, dem relativ geringen Alter der Einwohner und den intensiven Kommunikationsstrukturen im Produktions- und Reproduktionsbereich entsprach auch die Gestaltung der wenigen arbeitsfreien Zeit, die die (bürgerlichen) Gemüter dereinst aufregte: Der Gelsenkirchener Bürgermeister berichtete 1878 von der hohen Zahl der Wirtschaften und sprach von einem "Zustand, der selbstverständlich im Interesse der Moral und der Volkswirtschaft nicht länger geduldet werden darf". Bis zur Gegenwart weist das Ruhrgebiet wohl im Verhältnis zu anderen Regionen der Bundesrepublik eine besonders hohe Kneipendichte auf und die Einrichtung der Trinkhalle ist vor allem im Ruhrgebiet verbreitet.